Barrieren im Freiwilligenmanagement abbauen

Wer Menschen mit Behinderung als Freiwillige gewinnen will, sollte prüfen, wo es in der eigenen Organisation Barrieren gibt. Laura Gehlhaar vom Projekt leidmedien.de gibt praktische Tipps und Anregungen für eine Begegnung auf Augenhöhe.

Von Laura Gehlhaar

Laura Gehlhaar2008 erklärte die UN-Behindertenrechtskonvention ,Inklusion‘ als geltendes Menschenrecht für Menschen mit Behinderung. Das bedeutet, dass alle Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und dass sie sich nicht mehr an die Umwelt anpassen, sich also integrieren müssen, sondern dass die Umwelt von vornherein so ausgestattet ist, dass alle Menschen gleichberechtigt leben können.

Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht von Menschen mit Behinderung auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen. In der Realität sieht das jedoch leider ganz anders aus. Die Bundesregierung sowie die Unternehmen müssen noch konstruktive Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderung eine Arbeitswelt zu schaffen, wo Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit herrschen können.

Die Freiwilligenarbeit darf weder als Alternative zum regulären Arbeitnehmer-, Arbeitgeberverhältnisses gesehen, noch als Beschäftigungstherapie deklariert werden. Sie soll lediglich ein weiterer Weg sein, um Menschen mit Behinderung die Möglichkeit zu geben, sich sozial und gesellschaftlich zu engagieren. Denn behinderte Menschen wollen arbeiten, sie wollen Leistung zeigen und das soziale Engagement voranbringen. Dabei gilt es in erster Linie, dass sich Freiwilligenagenturen und Freiwilligenmanager_innen in Organisationen sowie ihre Kooperationspartner_innen bewusst machen, was es bedeutet, eine_n potenzielle_n Freiwillige_n mit Behinderung in die eigene Struktur einzubinden und zu koordinieren. Wichtig bei diesem Prozess der Inklusion ist ein offener und ehrlicher Dialog zwischen Freiwilligenagentur und ihrer jeweiligen Partnerorganisation. Zu klären wären Fragen wie: Wo könnten mögliche Barrieren auftreten und welche Möglichkeiten gibt es, diese abzubauen? Welche (Infra)Strukturen müssen in den Einsatzstellen geschaffen werden, um die Selbständigkeit von Menschen mit Behinderung sicherzustellen? Welche Erwartungen sind im Hinblick auf Leistung und Engagement realistisch?

Was bedeutet Freiwilligenarbeit für Menschen mit Behinderung?

Während die ökonomische Selbständigkeit im Arbeitsleben die wohl größte Rolle spielt, steht bei der Freiwilligenarbeit die soziale Anerkennung und das erhöhte Selbstwertgefühl im Vordergrund. Der Begriff der Freiwilligkeit spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Tun wir etwas aus freiem Willen heraus, geht dem meistens eine hohe Eigenmotivation voraus. Wir entscheiden uns für etwas einzustehen und gehen im Idealfall am Ende des Tages mit einem guten Gefühl nach Hause. Jede_r, ob mit oder ohne Behinderung, hat in der Freiwilligenarbeit die Möglichkeit sich im Gebiet ihrer/seiner Wahl zu engagieren und Gutes zu leisten.

Für Menschen mit Behinderung kann das einen ganz besonderen Vorteil haben. Während man zwischen den Institutionen wie Diakonien, Behindertenverbänden oder anderen sozialen Einrichtungen wählen kann, um die eigene Fachkompetenz oder Mitarbeit anzubieten, kann man auch über seinen zeitlichen Aufwand selbst bestimmen. Aus körperlichen oder kognitiven Gründen ist es manchen Menschen mit Behinderung schlichtweg nicht möglich, einer 40-Stunden-Woche nachzugehen. Und so hat jede_r die Möglichkeit ihre/seine Belastbarkeit selbst einzuschätzen, um mit ihren/seinen Ressourcen haushalten zu können, sodass bei einer Zusammenarbeit beide Parteien ihren Nutzen haben.

Das gesellschaftliche Bild von behinderten Menschen ist noch stets das des Hilfesuchenden, nicht das des Hilfegebenden. Seit Jahrzehnten ist man bemüht, herauszufinden, was Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zu brauchen scheinen und was gut für sie ist. Viele Förderprogramme haben sicherlich ihre Berechtigung. Was jedoch auffällt ist, dass immerzu über behinderte Menschen geredet wird anstatt mit ihnen. Dabei sind sie doch Expert_innen in eigener Sache. Wer sonst könnte besser darüber Auskunft geben, was er/sie braucht, als der/die Betroffene selbst? Durch soziales Engagement kann genau dieses Bild gesellschaftlich neu definiert werden.

Welche Vorteile entstehen, wenn Menschen mit Behinderung in Organisationen freiwillig aktiv werden?

Die Zusammenarbeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderung bringt viele Vorteile mit sich. Unternehmen berichten von einer insgesamt erhöhten Sensibilität der Mitarbeiter_innen für den Umgang miteinander, wodurch sich eine Kultur der Wertschätzung entwickelt. Der eigene Erfahrungswert der Betroffenen kann in bestimmten Situationen als Mehrwert dienen.

Jeder Mensch ist anders. Und das ist auch gut so. Anderssein bedeutet Vielfalt und Vielfalt schafft Bereicherung.

Tipps für das aktive Anwerben von Menschen mit Behinderung

Das gesellschaftliche und mediale Bild des Menschen mit Behinderung ist oft das des hilfesuchenden und passiven Menschen, der unter seiner Behinderung ,leidet‘ oder ,an den Rollstuhl gefesselt‘ ist. Das andere Bild, welches hauptsächlich durch die Medien verstärkt wird, ist das der/des Heldin/Helden, die/der ,tapfer ihre/seine Behinderung ‚meistert‘ oder ,trotz Behinderung den Lebensmut nicht verliert‘. Beide Bilder spiegeln allerdings nur in den seltensten Fällen die Lebensrealität eines Menschen mit Behinderung wider. Neben den hier genannten Floskeln spielt auch die Bildsprache eine wichtige Rolle. So werden oft Rollstuhlfahrer_innen oder Menschen mit Sehbehinderung als Hilfeempfänger_innen bildlich dargestellt, indem man ihnen eine Begleitperson zur Seite stellt. Möchten Freiwilligenmanager_innen durch Flyer oder anderen Öffentlichkeitsmaterialien aktiv ansprechen, gilt es diese Aktivität auch in der Bildsprache rüberzubringen. Das Projekt ,Leidmedien‘ gibt Tipps und Hilfestellungen an jede_n, die/der behinderten Menschen auf Augenhöhe begegnen möchte.

Im folgenden Abschnitt werden weitere Möglichkeiten genannt, wie Freiwilligenmanager_innen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen begegnen können.

– Menschen mit Mobilitätseinschränkung/Rollstuhlfahrer_innen

Bevor Freiwilligenmanager_innen bei der Ausschreibungsphase auch oder vor allem Rollstuhlfahrer_innen berücksichtigen wollen, gilt es vorab zu überprüfen, ob auch die Infrastrukturen dafür gegeben sind. Gibt es einen gut zu erreichenden Aufzug? Ist eine Rollstuhltoilette vorhanden?

Da ich selbst Rollstuhlfahrerin bin, habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Bedürfnisse auch unter den Rollstuhlfahrer_innen erheblich unterscheiden können. Während es für eine_n sehr aktive_n Rollstuhlfahrer_in kein Problem darstellt, ein oder zwei Stufen selbständig zu überwinden, kann es für einen schweren Elektrorollstuhl unmöglich sein, eine Stufe ohne Rampe zu überbrücken. Auch können sich die Modelle des Rollstuhls in ihrer Breite unterscheiden, was bei den Breiten der Türen oder der Größe des Aufzuges zu berücksichtigen ist.

Sollte es zu einem Beratungs- oder Kennenlerngespräch kommen, liegt es am Ende auch an der/dem Rollstuhlfahrer_in, ihre/seine Bedürfnisse transparent zu machen.

– Menschen mit Sehbehinderung/Blindheit

Viele Menschen mit unterschiedlichen Sehbehinderungen verfügen über spezielle Computersoftware, die es ihnen ermöglicht, im Internet zu recherchieren und auf eventuelle Ausschreibungen aufmerksam zu werden. Bei Ausschreibungen in Form von Flyern gibt es die Möglichkeit, in der sogenannten Brailleschrift (Blindenschrift) zu kommunizieren.

Sollte es zur Kontaktaufnahme oder zum Gespräch kommen, sind klare Aussagen sehr wichtig. Das beinhaltet beispielsweise eine einfache und klare Wegbeschreibung zum verabredeten Treffpunkt, wie die Haupteingangstür der Institution oder das Ablaufen und damit einhergehende Einprägen des Fluchtweges in einem Notfall.

Auch gibt es sehbehinderte Menschen, die auf einen Assistenzhund zurückgreifen oder angewiesen sind. Diese Hunde sind durch ein jahrelanges Schulungsprogramm gelaufen und sind darauf trainiert, sich in fremden Umgebungen ruhig und friedvoll zu verhalten. Sollte es dennoch von Seiten der Institution zu Schwierigkeiten wegen eines Assistenzhundes kommen, kann man das ganz offen kommunizieren und eventuelle Alternativen besprechen.

– Autist_innen

Über Autist_innen gibt es bekanntlich viele Vorurteile, wie etwa dass sie ausschließlich in ihrer eigenen Welt leben oder dass sie alle hochbegabt sind. Das ist jedoch nur in den seltensten Fällen die Realität. Viele gehen einem geregelten Arbeitsleben nach, haben Familie und pflegen freundschaftliche Kontakte.

Arbeitgeber_innen berichten aus Erfahrung, dass ihre autistischen Mitarbeiter_innen sehr fokussiert und zielgerichtet ihren Aufgaben nachgehen und am Ende des Tages eine gute Arbeit abliefern. Klare Strukturen in Aufgabeneinteilung und Arbeitsabläufen sind hierbei wohl der Schlüssel und können Autist_innen als Leitfaden und Orientierungshilfe dienen.

Beim aktiven Anwerben und bei der Kontaktaufnahme ist eventuell eine schriftliche Kommunikation hilfreich. Sie bietet die Möglichkeit zum kurzzeitigen Nachdenken und möglichen Rückzug und ist somit weniger konfrontierend. Sollte es zu einem Gespräch kommen, kann ein ruhiger Ort mit wenig Reizen hilfreich sein. Aber auch das kann man vorab miteinander offen klären.

– Menschen mit Lernbehinderung

Arbeitgeber_innen berichten, dass viele Menschen mit einer Lernbehinderung eine hohe Eigenmotivation und Engagement mitbringen. Da das Leistungsniveau sehr unterschiedlich sein kann, ist es für beide Seiten wertvoll, vorab zu klären, welche Aufgaben sich zuzutrauen sind.

Bei der Begegnung mit lernbehinderten Menschen sollten sich Freiwillenmanager_innen bewusst machen, dass sie es hier mit erwachsenen Menschen zu tun haben. Im öffentlichen Umgang werden Menschen mit Lernbehinderung beim aller ersten Kontakt oft mit ‚du’ angesprochen. Jeder Mensch, ob mit oder ohne Behinderung, hat mit seinem 18. Lebensjahr die Vollmündigkeit erreicht und das Siezen hat somit seine Berechtigung. Wie man sich weiterhin anspricht, bleibt natürlich den Personen selbst überlassen.

Im aktiven Anwerben und schriftlichen Kontakt mit Menschen mit Lernbehinderung kann es hilfreich sein, ,Leichte Sprache‘ zu verwenden.

 

Quellen

Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen. 
Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
. Prof. Dr. Ernst von Kardorff, Dr. Heike Ohlbrecht, 
Susen Schmidt M.A. / 2013

www.leidmedien.de

 

Foto: Arne Vossfeldt

Mai 2014 / aktualisiert am 12.5.2014

 

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