„Es gibt eine unglaubliche Breite an Engagement, aber auch eine relativ geringe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit“

Am 2. November 2013 fand im Roten Rathaus die Fachtagung „Bürgerschaftliches Engagement und Migration“ statt. Eingeladen hatte die Berliner Beauftragte für das Bürgerschaftliche Engagement, Staatssekretärin Hella Dunger-Löper. Ein Gespräch über ungesehenes Engagement, Vernetzung und interkulturelle Öffnung.

Die Fragen stellte Elisabeth Gregull.

Staatssekretärin Hella Dunger-LöperWarum haben Sie eine Fachtagung zu diesem Thema veranstaltet?

Ich habe in Berlin beobachtet, dass die Bezirke sehr unterschiedlich mit dem Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ umgehen. Und es schien mir wichtig, dass es zu einem Informationsaustausch kommt. Sowohl für die Bezirksverordnetenversammlungen als auch für die Bezirksämter, um zu sehen, wo gibt es besonders gelungene Organisationsformen und wo sind Defizite. Das war der Ausgangspunkt für eine solche Fachtagungs-Reihe. Das erste Thema waren Freiwilligenagenturen, beim zweiten Mal ging es um Partizipationsmodelle in den Bezirken, und jetzt war das Thema „Bürgerschaftliches Engagement und Migration“. Dieser Wunsch kam auch aus dem Teilnehmerkreis.

Welche Erfahrungen machen Sie, wenn es um das bürgerschaftliche Engagement von Menschen mit Einwanderungsgeschichte geht?

Wir haben dazu vor einiger Zeit eine Tagung in der Friedrich-Ebert-Stiftung gemacht. Da sah man, es gibt eine unglaubliche Breite an Engagement, aber auch eine relativ geringe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Es wird oft gesagt, man müsse das Engagement von Migrantinnen und Migranten stärken, dabei ist das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund quantitativ gar nicht geringer als das von Menschen ohne Migrationshintergrund. Im Freiwilligensurvey 2009 wurde festgestellt, dass das Engagement in Bezirken mit einem hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten sogar über dem Berliner Wert im Ganzen liegt. Aber trotzdem ist es weniger stark im öffentlichen Bewusstsein. Das Anliegen der Tagung war zu schauen, was muss eigentlich passieren, damit es zum einen ins Bewusstsein kommt, gesehen wird. Und zum anderen auch die Verzahnung von unterschiedlichen Bereichen voranzubringen.

Zunächst hat Herr Professor Uslucan vom Zentrum für Türkeistudien gesprochen. Sein Thema war das Engagement von türkeistämmigen Menschen in Deutschland. Welche Aspekte fanden Sie besonders wichtig?

In der Einführung von Professor Uslucan fand ich besonders interessant, dass er noch mal hervorgehoben hat, dass die Selbstorganisation im migrantischen Bereich  – wenn man sich darauf beschränkt – ein Modell ist, dass nicht mehr der heutigen Zeit entspricht. Sondern dass Integration nur darüber läuft, dass alle gesellschaftlichen Bereiche mitgedacht werden. Daran müssen wir auch auf der politischen Ebene arbeiten. Und auch dahin wirken, dass diejenigen, die sich organisieren, nicht ausschließlich als Lobbyisten betrachtet werden, sondern als solche, die ein gesamtgesellschaftliches Anliegen haben.

Das Kompetenzzentrum für die interkulturelle Öffnung der Altenhilfe hat sich in einem Dialog zwischen der Hauptamtlichen Frau Sachs und dem Ehrenamtlichen Herr Saad vorgestellt. Gaafar Saad hat sich als Quartierbeirat engagiert und ist inzwischen auch in der Seniorenvertretung Spandau.

Es entspricht auch meinen Erfahrungen, dass bei den Quartiersbeiräten, wo man ganz gezielt partizipativ arbeitet, Menschen mit Migrationshintergrund nicht ausgeschlossen sind. Wir haben das auch mal untersuchen lassen. Man muss unterschiedliche Ansprachen wählen, um sie zu erreichen, aber die Mitwirkung ist gleichberechtigt. Aber es gibt eben nicht in allen Teilen der Stadt eine professionelle Anleitung durch ein Quartiersmanagement, das so etwas sicherstellt.

Dann hatte ich selbst die Gelegenheit, für die Neuen deutschen Medienmacher den Vielfaltfinder vorzustellen. Der Vielfaltfinder ist eine Datenbank für Medienschaffende und Expertinnen und Experten mit Einwanderungsgeschichte. Ziel ist, die bereits bestehende Vielfalt in den Medien sichtbarer zu machen.

Den Vielfaltfinder fand ich auch sehr interessant, denn der Ansatz, wir müssen die Vielfalt ins Bewusstsein heben, der ist eigentlich relativ trivial, aber man muss ihn umsetzen. Ich fand beeindruckend, was da schon vorgearbeitet worden ist. Ich glaube, dass die Vorbildfunktion von Menschen, die eben nicht mehr in einer Außenseiterrolle sind, dass das ein ganz wesentlicher Punkt ist.

Bei den Workshops gab es einen zum Bezirk Neukölln und einen zum Bezirk Treptow-Köpenick. Zwei Bezirke also, mit einem unterschiedlichen Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte. War das eine bewusste Entscheidung?

Es war im Grunde ein Kontrastprogramm. Wobei Treptow-Köpenick ja durchaus auch eine ganze Menge Menschen mit Migrationshintergrund hat, nur eben andere, nämlich Aussiedlerinnen und Aussiedler. Diese Gruppe ist in bestimmten Teilen der Stadt konzentriert, eben in Treptow-Köpenick, in Marzahn-Hellersdorf und in Spandau. Da ging es ja zum Beispiel darum, wie kommt man in deren Community rein. Dort gibt es ja schon eine gewisse Form der Selbstorganisation, russisches Theater zum Beispiel. Und auf der anderen Seite in Neukölln: wie kann man Angebote machen, die so zugeschnitten sind, dass sie auch akzeptiert werden und die Menschen da zueinander bringen.

Wie fließt das Thema „Bürgerschaftliches Engagement von Menschen mit Einwanderungsgeschichte“ in Ihre alltägliche Arbeit ein?

Ich werde oft eingeladen zu Veranstaltungen, wo Menschen mit Migrationshintergrund ihr bürgerschaftliches Engagement praktizieren oder Ehrungen vornehmen. Es ist im Alltag noch sehr viel präsenter, wenn man sich klarmacht, dass in bestimmten Teilen der Stadt in den Grundschulen 90 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Deren Eltern an den schulischen Aktivitäten zu beteiligen, ist ganz wichtig. Wir wollen bei unserer nächsten Fachtagung das Thema „Bildungsverbünde“ betrachten. Die Schulen öffnen sich, arbeiten mit anderen Organisationen und Initiativen zusammen, eine Verbindung zwischen bürgerschaftlichem und professionellem Engagement. Das alles spielt eine große Rolle für Menschen mit Migrationshintergrund, auch als Forum für diese Menschen, wo sie sich gleichberechtigt artikulieren können. Man muss auch Gelegenheiten schaffen, wo man Erfolge haben kann. Das wollen wir auf verschiedenen Ebenen herbeiführen.

Hat Sie bei Ihren Besuchen vor Ort etwas besonders beeindruckt?

Frau Arkat von der Interkulturellen Freiwilligenagentur der Türkischen Gemeinde hat uns zu einer Veranstaltung in der Sehitlik Moschee eingeladen im Rahmen der Woche der pflegenden Angehörigen am 29. September. Dort wurde über unterschiedliche Formen der Altenpflege berichtet. Wir konnten sehen, wie bunt unser Nebeneinander ist. Und wie wichtig das ist, das auch zu akzeptieren und nicht von Mehrheit und Minderheit zu sprechen, sondern von Vielfalt, die gleichberechtigt nebeneinander steht. Da haben sich Menschen vorgestellt, die sich in diesem Bereich engagieren. Direkt in der Moschee, wo ja auch sonst nicht viele hinkommen würden. Das fand ich einen interessanten Ansatz. Das hat Professor Uslucan ja auch noch mal betont, dass die Moschee eben ein Ort ist, wo viel bürgerschaftliches Engagement stattfindet. In der Moschee, in der Gemeinde, etwas, das von vielen gar nicht wahrgenommen wird.

Wie arbeiten Sie mit Migrantenorganisationen zusammen?

Mit Migrantenorganisationen arbeiten wir nicht ständig direkt zusammen, das macht die Senatsverwaltung für Integration. Die hat eben auch einen Integrationsbeirat, der über Jahre wichtige Arbeit leistet.

Ich glaube, wir müssen hier auch noch einen Schritt weitergehen und die Arbeit besser vernetzen. Auch die Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund für andere erlebbar zu machen. Wir haben eine ganze Menge interkulturelle Gärten in Berlin oder gemeinsames Kochen, wie im Gemeinschaftshaus in der Morusstraße 14. Und da können die Menschen auch Erfahrungen machen mit ihrer Stärke, mit ihren besonderen Fähigkeiten und der Respekt und die Anerkennung gewinnen Raum. Das erleichtert dann auch das Zusammenleben, weil sie selbstbewusster auftreten können.

Interkulturelle Öffnung ist ja inzwischen eine häufig diskutierte Forderung. Was wünschen Sie sich von den Institutionen und Organisationen der Aufnahmegesellschaft?

Ich würde mir wünschen, dass man in erster Linie das Bewusstsein dafür herstellt. Das ist der entscheidende Schritt. Vieles liegt ein bisschen im Argen, dadurch, dass Informationen fehlen. Wir haben in Berlin ein Partizipations- und Integrationsgesetz, das zum Beispiel die Mischung von bestimmten Gremien vorschreibt. Man kann sich aber auch auf unterschiedliche Weise mit dem Thema „Interkulturelle Öffnung“ auseinandersetzen. Wir waren zum Beispiel mit einer Abteilung der Senatskanzlei in einem Theaterstück zu Migration, als interne Fortbildung. Man kann auch sagen, man macht mal eine Weihnachtsfeier anders. Da sind viele Dinge möglich. Es sind keine umwälzenden Maßnahmen. Es ist ein Bewusstwerdungsprozess, aus dem eine Verhaltensänderung erwächst.

Foto: Landesarchiv Berlin

 

November 2013

 

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