Diversity – ganzheitliche Wertschätzung und Bekenntnis. Ein Tagungsbericht

von Carola Schaaf-Derichs

Am 4. Dezember 2013 fand die erste Fachtagung der Qua­li­fi­zie­rungs­of­fen­si­ve für Freiwilligenagenturen in Berlin statt: Vielfalt in der en­ga­gier­ten Stadtgesellschaft – Freiwilliges Engagement und Diversity. Sie war mit rund einhundert Multiplikator_innen, Frei­wil­li­gen­ma­na­ger_in­nen, haupt- und ehrenamtlich Tätigen aus Frei­wil­li­gen­a­gen­tu­ren, aus gro­ßen wie kleinen Organisationen und Ver­bän­den, Be­ra­ter_in­nen, Wis­sen­schaftler_innen, Me­di­en­leu­te und Politiker_innen gut be­setzt, ein bunter Mix von In­ter­es­sier­ten aus verschiedensten Be­rei­chen des Bürgerschaftlichen Engagements.

Lagfa QO Fachtagung„Freiwilligenagenturen sind in Berlin seit 25 Jahren präsent, unsere eigene Gründung als Lan­des­frei­wil­li­gen­agen­tur Berlin liegt im Jahr 1988, und trotz geringer oder nur punktueller Förderung haben sich Freiwilligenagenturen als Netzwerk inzwischen flächig in Berlin etabliert. Wir wollen nun noch mehr da­raus machen, mehr aktuelle Themen aufgreifen, mehr Öffnung wagen, mehr Demokratieförderung be­trei­ben, mehr Sensibilität für ‚neue Interessiertengruppen‘ entwickeln und vieles mehr.

Aber bevor wir dies umsetzen können, braucht es eine gemeinsame Haltung, eine übergreifende Idee und Per­spek­ti­ve. Viele Freiwilligenagenturen werden gut besucht, aber können sie auch das gesellschaftliche Spektrum in seiner Vielfalt abbilden, ansprechen, einladen? In Berlin leben sehr unterschiedliche Menschen und Gruppen – aber er­rei­chen wir sie denn überhaupt?

Ob wir den Deutschen Freiwilligensurvey oder die Berliner Auswertung heranziehen, die auf Landesebene Daten zum Bürgerschaftlichen Engagement aufbereitet hat, stets wird der Wirkungskreis von Freiwilligenagenturen mit rund zehn Prozent aller Engagierten in Berlin auf der einen Seite als erfolgreich zu bewerten sein, auf der anderen Seite ist er als noch nicht diversifiziert genug zu erkennen.

Durch diese kritische Aufarbeitung kamen wir zum Thema „Diversity“ als einer ganzheitlichen Auffassung von er­stre­bens­wer­ter Vielfalt in der Gesellschaft und damit der Herausforderung, den Abbau von „Schwellen“ an unseren Türen zu beginnen, sichtbare und unsichtbare.

Diversity soll deshalb heute als ‚Ziel und Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft‘ (ich zitiere aus dem In­ter­view mit Judy Gummich in unserem neuen Freiwilligenmagazin) das zentrale Thema sein. Und wir wollen diesen Weg als Agenturen, also als Mittlerorganisationen für das Bürgerschaftliche Engagement im weitesten Sinne, in der Me­tro­po­le Berlin nicht allein gehen, sondern an den Debatten anknüpfen, die es dazu bereits in der Stadt gibt, aus den Erfahrungen von Berater_innen und Trainer_innen, von Initiativen und Projekten ganz konkret lernen, subjektive und organisationale Erlebnisweisen nachvollziehen und schließlich als „lernende Organisationen“ mit unseren Partner_in­nen in den In­sti­tu­ti­o­nen und Netzwerken gemeinsam Schlüsse daraus ziehen.

Wir freuen uns daher ganz besonders, dass wir auf diesem Weg mit Ihnen heute in interessierter und verbundener Gesellschaft sein werden und wir setzen auf eine engagierte diverse Stadtgesellschaft als einem gemeinsamen Ziel.“

Lagfa QO FachtagungMit diesen Worten betonte Carola Schaaf-Derichs von der ver­an­stal­ten­den Landesfreiwilligenagentur Berlin schon eingangs das besondere Anliegen der Tagung, Diversity im Sinne eines Zieles und einer Vor­aus­set­zung für eine inklusive Gesellschaft und somit als Haltung für Frei­wil­li­gen­a­gen­tu­ren und ihre Partnerorganisationen wirksam zu be­för­dern. Auch wenn die Freiwilligenagenturen in Berlin nicht durchgängig über hinreichende Förderungen verfügten, so sei eine solche Haltung doch Grundvoraussetzung für die Öffnung hin zu anderen Akteuren und Gruppen als auch für neue Ak­ti­ons­mög­lich­kei­ten im Bürgerschaftlichen Engagement.

Die Gastgeberin, Staatsekretärin Hella Dunger-Löper, Berlins Beauftragte für bürgerschaftliches Engagement, un­ter­strich, wie wichtig sie das Anliegen einer diversen und integrierten Gesellschaft in Berlin heißt und begrüßte die Ta­gung ausdrücklich.

Eren Ünsal, Leiterin der Landesstelle für Gleichstellung – gegen Diskriminierung in Berlin, hob hervor, dass die Vor­aus­set­zung für gesellschaftliche Vielfalt immer wieder in der Beseitigung von diskriminierenden Strukturen läge, physischen wie strukturellen.

Serdar Yazar, Diversity-Berater, stellte die persönliche Haltung in den Mittelpunkt, bei der es darum gehe, dass sich Menschen komplett einbringen können, nichts von sich auslassen müssen aus Scham, Angst oder Misstrauen. Or­ga­ni­sa­ti­o­nen können hier sehr viel über ihre Werte, ihr Leitbild oder ihre Willkommenskultur nach außen ver­mit­teln, es gehe um eine ganzheitliche Wertschätzung und ein Bekenntnis zu Diversity.

Dr. Ingeborg Beer vom Büro für Stadtforschung und Sozialplanung warf in der Podiumsdiskussion die Frage auf, Lagfa QO Fachtagungwas der Begriff „Integration“ über eine Gesellschaft aussage: wer wird hier wohin integriert? Sie appellierte dazu, aus dem „Container-Denken“ her­aus zu kommen, andere Formen der Ansprache zu wählen, die Menschen nicht als so­zi­o­lo­gi­sche Gruppen sondern z.B. als „Anwohner_innen“ be­nennt, unabhängig davon wie alt sie sind und woher sie kommen.

Für Aziz Boskurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt der Berliner SPD, ist zivilgesellschaftliches Engagement eine Investition in die Zu­kunft, wofür auch Schulden gemacht werden könnten, da sie sich künftig wieder auszahlen würden.

Nilgün Daglar-Sezer, Technische Universiät Dortmund, bekräftigte, dass Zivilgesellschaft machen können muss, was sie will, das sei der Maßstab ihrer Entwicklung. Sie warnte vor Gefahren einer „Kli­en­ti­sie­rung“.

Aus dem Blickwinkel von Gerlinde Bendzuck, stellvertretende Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga Berlin, wird die Wech­sel­be­zie­hung zwischen Behinderung und Bürgerschaftlichem Engagement zunehmend als wichtiger wahr­ge­nom­men; und damit auch die Beiträge von Menschen mit Behinderung. Aber dies würde sich noch nicht in den öf­fent­li­chen Medien wi­der­spie­geln. Ebenso beobachtet sie, dass es für Menschen mit persönlichem Assistenzbedarf – obwohl dies ein UN-Men­schen­recht ist – noch längst nicht die erforderliche Förderung gibt.

Der Info-Markt war ein wichtiger Diskussionsplatz in der Mittagspause. Danach wurde in vier parallelen Workshops intensiv mit Expert_innen an den Themen Diversity und Kompetenz, Diversity und Kommunikation, Diversity und Or­ga­ni­sationsberatung sowie Diversity und Freiwilligenberatung gearbeitet, um die Aufgaben und Rollen der Frei­wil­li­gen­agen­tu­ren und ihrer Partnerorganisationen deutlicher herauszuschälen.

In der abschießenden Runde ergaben sich daraus folgende Herausforderungen für Freiwilligenagenturen: sie sollten „Barriere-Checks“ für Aufgaben im Freiwilligen Engagement machen, damit auch Menschen mit Behinderung aktiv werden können, sie sollten „Vielfaltsentdecker_innen“ bei der Entwicklung von Aufgaben für Freiwillige sein, sie soll­ten die Kommunikation für freiwilliges Engagement sensibel im Hinblick auf Vielfalt betreiben und schließlich be­nö­ti­gen sie dazu professionelle Strukturen, Kompetenzen und Rahmenbedingungen, um dieser Öffnung zur Diversity ge­recht werden zu können, vielleicht sogar wie beim Qualitätsmanagement eine_n Diversity-Beauftragte_n.

Gregor Baumann begleitete den Tag mit der Kamera und hielt ihn in der Galerie der engagierten Stadtgesellschaft zu Gast im Roten Rathaus über den Tag hinaus auch im Bilde fest. Ein umfassende Dokumentation der Tagung ist in Vor­be­rei­tung.

Dezember 2013

Fotos: Jo Rodejohann CC BY 3.0 DE

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