Wider das Schweigen!

Die netzfeministische Initiative „Hollaback! Berlin“ engagiert sich gegen alltäglichen Sexismus. Die Initiatorin Julia Brilling über ihre Motivation, ein internationales Netzwerk und aktuelle Debatten.

Von Julia Brilling

Grafik Steh auf gegen Street HarassmentAls ich 2010, damals noch als Studentin, wieder einmal ratlos, genervt und mit einer gewissen Wut im Bauch Sexistisches miterlebte und nirgends darüber reden konnte, half mir das Internet. Ich stieß auf die Webseite von „Hollaback!“, auf der Frauen ihre Erfahrungen öffentlich machen, sich gegenseitig unterstützen und selbst aktiv gegen „Street Harassment“ werden können. Damals nur auf Englisch und in den USA und London vertreten, las ich die Geschichten anderer Menschen mit ähnlichen Erfahrungen wie meinen, konnte Infos zum Thema „Street Harassment“ finden und vor allem mein neuestes Erlebnis in der Berliner S-Bahn loswerden. Es ging mir gleich viel besser.

Inspiriert entschloss ich mich sogleich das Projekt auch in Berlin zu starten. Und obwohl ich damals schon Gender Studies studierte, so praxisorientiert und einfach hatte ich noch nie mit dem Thema Belästigung zu tun, wie bei „Hollaback!“. 2011 ging es los im Zweier-Team mit „Hollaback! Berlin“. Seitdem hat sich das Team immer wieder verändert, zeitweise habe ich aber auch einfach alles alleine machen müssen. Dazu später mehr.

Was macht Hollaback?

„Street Harassment“ hat keine wirkliche deutsche Übersetzung, wir nennen es meist „alltägliche Belästigung“. Wir meinen damit alle Formen genderbasierter, also voranging auf Geschlecht bezogene Gewalt in öffentlichen Räumen.

“Hollaback” heißt übersetzt “zurückbrüllen”. Das Schweigen, das immer noch um sexualisierte Gewalt und alltäglichen Sexismus besteht, versuchen wir zu brechen, indem auf unserem Blog jede_r die eigene Erfahrungen veröffentlichen kann.

Der Do-it-yorself-Faktor, also selbst mit gestalten zu können, steht dabei im Vordergrund. Daher auch der Slogan der Hollaback!-Bewegung: „You have the power to end Street Harassment“. Gegründet wurde “Hollaback!” 2005 in New York und ist mittlerweile in derzeit 92 Städten und 32 Ländern der Welt vertreten und immer neue Webseiten kommen hinzu. Die HollaBack!-Bewegung nutzt die Kraft des Internet und von Sozialen Netzwerken, um gesellschaftlichen Wandel zu initiieren.

Die Einsendungen auf unserer Seite sind meist von jungen Frauen, die Hauptziel von alltäglicher sexualisierter Gewalt in öffentlichen Räumen sind. Sie schildern Situationen in U-Bahnhöfen oder Straßen, zu allen Tageszeiten, in denen sie verbale oder tätliche Übergriffe erleben. Eine Einsendung aus dem Februar 2015 berichtet von einem Vorfall auf dem Weg zu einer „One Billion Rising“-Veranstaltung, einer weltweiten Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Mädchen:

Einsendung: Auf dem Weg zu One Billion Rising

Am 14.2. mittags: Ich war mit einer Freundin mit dem Fahrrad auf dem Weg zum One Billion Rising – Event in meiner Stadt (internationaler Aktionstag gegen Gewalt an Mädchen und Frauen).

In der Nähe vom Hbf steht eine große Gruppe von jungen Männern an der Ampel, viele auf dem Fahrradweg. Auf unser Klingeln reagieren sie nicht. Wir müssen wegen der Straße sehr langsam an Ihnen vorbeifahren. Sie gucken, raunen, ich höre “geil” und plötzlich fasst mich jmd. am Po an.

Ich stoppe, schaue ihn an und schreie ihn lautstark an, dass er mich nicht anfassen soll, wie widerlich er ist und so weiter… es wird gelacht,…möglicherweise wird aber eher er von seinen Kumpels ausgelacht…. was zurückgesagt wird (glaube ich) nicht.

Ich fahre….stolz, dass ich was gesagt habe, so eine Kraft in mir hochgekommen ist. Gleichzeitig bin ich am zittern, völlig fertig…total schade!!! und selbst das One Billion Rising Event hat es nicht geschafft, mich da komplett rauszuholen. Ich spüre noch länger die Berührung. Widerlich!! Das Gefühl, ich kann dagegen nichts tun… es wird einfach mit mir gemacht, hilflos, fremdbestimmt…“

Die Geschichten, die bei uns veröffentlicht werden, dokumentieren so die Alltäglichkeit sexualisierter Übergriffe auf zumeist junge Frauen. Das Internet bzw. die Hollaback!-Blogs sind also Orte, die zum einem zum Teilen und Mitteilen einladen; und gleichzeitig wird so eindrücklich gezeigt, mit welcher Diskriminierung wir auch heute noch zu kämpfen haben.

Um symbolisch Unterstützung zu zeigen, können die Leser_innen der Geschichten den „I’ve got your back“-Button anklicken und so ihre Solidarität zeigen. Kommentare sind auf unserer Seite nicht mehr erlaubt: zu viel Hass, Gewalt und Sexismus gerichtet gegen uns als Macherinnen, aber auch die Einsendungen. Wir haben uns daher schon früh dazu entschieden, den auch im Netz gängigen Hass gegen Frauen keinen Raum zu geben.

Darüber hinaus gibt es auf unserer Seite jede Menge Informationen wie Infografiken oder Materialen zu Street Harassment.

Bewusstsein schaffen durch Öffentlichkeitsarbeit

Die Idee ist, dass wir, also alle, denen diese Dinge passieren, uns selbst, gegenseitig helfen, indem wir unsere Erfahrungen im virtuellen Raum der Website teilen. Das bietet die Möglichkeit des Austauschs, der Solidarität und der Information. So können wir uns gegenseitig bestärken, vernetzen und mit den vielen Geschichten Öffentlichkeit schaffen für das, was die meisten von uns tagtäglich erleben. Wir möchten diese Kultur, in der Belästigungen, Diskriminierungen und Gewalt jeder Art einfach verschwiegen, verharmlost und verleugnet werden, durchbrechen und ein verändertes Bewusstsein schaffen. Dadurch können wir gemeinsam daran arbeiten, die Kultur des Schweigens zu durchbrechen und von einer belästigungsfreien Gesellschaft träumen.

Ziel unserer Initiative ist es, dass sich alle Menschen – egal welcher Gender, Befähigungen, Herkunft, Erscheinung oder Begehren – frei, selbstverständlich und selbstbestimmt in der Öffentlichkeit bewegen können, ohne dabei ständig der Gefahr sexueller Belästigungen ausgesetzt sein zu müssen.

Eine Besonderheit des „Street Harassment“ ist, dass es alles andere als anonym oder heimlich passiert. Beleidigungen und Belästigungen werden vor allem sehr offen in öffentlichen Räumen ausgetragen. Diese Normalisierung sexualisierter Gewalt führt dazu, dass Täter* vollkommen öffentlich auftreten können – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Das gilt auch für das Internet, denn die wenigsten Hassmails, die bei uns eingehen, sind anonym.

Medienecho und Kooperationen

Seit unserem Launch 2011 hat sich der Diskurs in Deutschland merklich verändert. Damals gab es kaum Informationen oder Diskussionen über alltäglichen Sexismus, geschweige denn Street Harassment. Dank großer medialer Aufmerksamkeit ist das Thema inzwischen stärker im öffentlichen Bewusstsein – letztes Jahr führte „Hollaback! Berlin“ unter anderem Interviews mit Brigitte und DRadio Wissen. Aber auch durch unsere kontinuierliche Arbeit in Sachen Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit ist „Hollaback!“ in Deutschland stetig gewachsen. Inzwischen gibt es drei Gruppen (Berlin, Dresden, Chemnitz) und etliche Kooperationen. Aktuell kooperieren wir mit der KostA (Kommission für studentische Angelegenheiten Deutschland) für die Kampagne „#uni_SEX“, die das Thema Sexismus auch an der Uni in den Fokus rücken will.

Ein Fokus unserer Arbeit ist das Empowerment, das Selbst-Stärken. Dazu haben wir bereits einige künstlerisch-kreative Projekte ins Leben gerufen wie die „Cats against Catcalling“-Compilation – ein Musikprojekt mit „Riot Grrrl Berlin“, an dem sich über 95 Musiker*innen beteiligt haben.

Ein strukturelles Problem ist aber, dass es ohnehin für Antigewalt-Arbeit im Rahmen von sexualisierter Gewalt kaum Ressourcen gibt. „Hollaback!“ arbeitet ausschließlich ehrenamtlich und das weltweit. In Berlin sind neben mir als Leitung immer wieder Volunteers („Freiwillige“), die mich tatkräftig unterstützen. Dennoch fehlen Ressourcen an allen Ecken und Enden. Eine Lösung dafür ist nicht in Sicht.

 

April 2015