„Ich liebe mit Menschen zu reden“

Sie hat nur zehn Stunden in der Woche, um die Freiwilligenagentur Wedding am Leben zu halten. Aber sie gibt nicht auf. Anna Asfandiar glaubt, dass ohne das bürgerschaftliche Engagement im Kiez vieles zusammenbrechen würde. Ein Besuch bei einer optimistischen Frau. 

Von Elisabeth Gregull

Anna Asfanidiar von der Freiwilligenagentur WeddingAnna Asfandiar lacht. Die Frage, wie sie ihren Weg in die Freiwilligenagentur Wedding gefunden hat, ist schnell beantwortet: „Mein Weg war gar nicht so weit“, erzählt die junge Frau mit einem Lächeln und offenem Blick. „Ich wohnte damals, 2005, im Sprengelkiez. Wir sind frisch aus Frankfurt Oder hierhergezogen. Ich hatte einen kleinen Sohn und war ganz viel draußen. Auf einem Spielplatz habe ich eine Mutti kennengelernt, die sich hier in der Freiwilligenagentur im Sprengelkiez engagierte und sie hat mir davon erzählt. Da war ich zum ersten Mal überhaupt bei dem Thema, nach meinem BWL Studium. Das war ein ganz neues Pflasterchen für mich.“

Vom Engagement im Kiez zur Freiwilligenagentur

Man kann sich gut vorstellen, wie Anna Asfandiar dann ehrenamtlich Müttertreffs und Elternfrühstücke organisiert hat. Ihre offene und herzliche Art ist sehr gewinnend. „Das war der erste Kontakt mit dem Thema Engagement im Kiez, richtig im Kiez“, erzählt sie. Als dann eine Kollegin in der Freiwilligenagentur Wedding im Quartiersmangementgebiet Pankstraße aufhörte, war die Frage, ob Anna Asfandiar die Arbeit übernehmen will. Ihr Gesichtsausdruck verrät noch heute, dass sie durchaus ihre Zweifel hatte: “Okay, ich kann es versuchen.“ Aber der Versuch war von Erfolg gekrönt. „Tja, und dann habe ich praktisch meinen Beruf entdeckt. So bin ich in der Freiwilligenagentur Wedding gelandet und bis heute geblieben.“

Gestartet ist die Freiwilligenagentur 2004 mit fünf Kolleginnen. Heute ist nur noch Anna Asfandiar übrig – mit zehn Stunden in der Woche. Sie vermisst vor allem die Teamarbeit: „Ich weiß, wo meine Stärken und wo meine Schwächen liegen. Und ich war froh und glücklich, dass wir uns im Team die Arbeitsfelder aufgeteilt haben“, sagt sie rückblickend. „Ich liebe mit Menschen zu reden, das war meine Stärke, und so habe ich das in den Beratungen, in der Öffentlichkeitsarbeit übernommen. Das war schon das Richtige.“

Teamplayerin ohne Team

Dass Anna Asfandiar eine Teamplayerin ist, merkt man, wenn man sie über ihre neuen ehrenamtlichen Kolleginnen reden hört. Seit Ende des letzten Jahres konnte sie zwei Freiwillige gewinnen, die sie unterstützen. Aus ihrer Sicht ein Riesenerfolg – ihr Gesicht hellt sich auf: „Ich bin wirklich sehr froh. Man merkt, wenn man Unterstützung hat, dann passiert etwas, neue Ideen kommen rein. Weil wenn man alleine dasitzt, dann ist irgendwann mal die Puste raus und man fällt in diese Routine. Das ist schön, dass die beiden mit eigenen Ideen oder Projekten noch mal die Freiwilligenagentur aufmischen.“

Eine der Frauen macht Portraits von Freiwilligen für die Website der Agentur. Ein Zusatzangebot für alle, die noch keine Idee haben, wo oder wie genau sie sich engagieren wollen. Die andere unterstützt die Sprechstunden und Verwaltungsaufgaben in der Agentur.

Der gestutzte Baum

Baum_Freiwilligenagentur_WeddingAn der Wand hängt ein gebastelter „Freiwilligenagentur-Baum“ – er entstand vor einigen Jahren zu einem Gemeinwesen-Forum, als die Agentur noch ein großes Team und eine solide Finanzierung hatte. Anfangs kamen die Mittel über das Quartiersmanagement, die Agentur behielt die alten Standorte und traute sich in neue Gebiete. Doch die Finanzierung über das Programm Soziale Stadt ist ausgelaufen, der Baum ist gestutzt – mit einem Standort, einer Mitarbeiterin und 10 Stunden in der Woche kann die Agentur einige Arbeitsfelder nicht mehr abdecken. Im Wesentlichen sind die Beratung von Freiwilligen und die Zusammenarbeit mit den Organisationen übrig geblieben. „Deswegen habe ich mir den Baum aufgehängt, um das Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn man das ein oder andere nicht macht.“

Für Fachdiskussionen und Öffentlichkeitsarbeit bleibt kaum noch Zeit. Umso glücklicher ist Anna Asfandiar, wenn Medien über Freiwilliges Engagement berichten – denn das bekommt sie sofort zu spüren: „Als vor zwei Jahren das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit war und viel in den Medien darüber berichtet wurde, hatte ich einen Riesenandrang. Die Leute haben es im Fernsehen gesehen oder ein Plakat entdeckt und dann gezielt im Internet eingegeben ‚Ehrenamt Wedding’ und da kamen wir raus. Und dann kamen sie zu uns. Es ist nicht wichtig, wer die Werbung macht, die Leute kommen trotzdem in die naheliegenden Einrichtungen.“

Eine alte Fabrik

Die Freiwilligenagentur Wedding befindet sich jetzt in der Nachbarschaftsetage in der Osloer Straße, im Hof eines alten Fabrikgebäudes aus rotem Backstein. Die Büroräume sind frisch saniert und ein Großteil der Räume ist barrierefrei. Anna Asfandiar sitzt an einem großen weißen Tisch, neben ihr ein Laptop. Durch die großen Fensterfronten fällt das milde Frühherbstlicht. Über den Hof spazieren einige Frauen, sie sind auf dem Weg zum Deutschkurs. Anna Asfandiar schwärmt von dem Gebäude, in dem seit  30 Jahren viele Projekte ihr Zuhause haben.

„Jetzt sind wir mit meiner Kollegin dabei, innerhalb der Nachbarschaftsetage das ehrenamtliche Netz noch mal zu verstärken“, erzählt sie. „Und das knüpft sich. Es ist schön, dass es hier stattfindet, weil man Anschluss an viele verschiedene Akteure hat und Synergien zusammenführen kann. Das finde ich einfach toll. Und ich merke, dass es mir hier vor Ort wirklich sehr gut damit geht.“

„Ohne freiwilliges Engagement würde das zusammenklappen“

Trotz all ihrer positiven Energie überkommt Anna Asfandiar auch manchmal die Müdigkeit: „Ich habe ein sentimentales Gefühl für die Arbeit in der Freiwilligenagentur entwickelt“, sagt sie nachdenklich. „Manchmal denke ich, ich möchte nicht mehr. Vor allem zum Ende des Jahres hin, wenn man neue Mittel beschaffen und immer neu argumentieren muss. Aber die Arbeit ist sehr wichtig für den Kiez, man muss regional vertreten sein. Für alle Leute, die kommen und ein Engagement suchen. Und auf der anderen Seite die kleinen Einrichtungen und Projekte. Ohne freiwilliges Engagement würde das zusammenklappen.“

Pasch_Projekt_WeddingEin Projekt, das die Agentur zusammen mit der Nachbarschaftsetage ins Leben gerufen hat, ist „PASCH – Patenschaften für Schüler“. Erwachsene können ein Kind aus dem Wedding als Bildungspate begleiten. In Anna Asfandiars Büro, gegenüber von dem Baum, steht in bunten Lettern „Lesewiese“ an der Wand. In den Regalen Bücher und Spiele, die können Kinder und Erwachsene beim ersten Treffen nutzen, um sich unter Begleitung langsam kennenzulernen. Im Flur hängen bunte Handabrücke von Kindern und ihren Patinnen und Paten. „Es ist schön, wenn die Leute die Räume nutzen, Leben in die Etage kommt.“

Von A wie Agentur bis V wie Viadrinisch

Überhaupt: die deutsche Sprache. Anna Asfandiar hatte anfangs auch so ihre Probleme mit dem Begriff „Agentur“. Der klang für sie nach starren Regeln und Verwaltung. Sie kann sich gut vorstellen, dass einige Menschen Hemmungen haben in eine Institution zu gehen und sich beraten zu lassen. Umso mehr Wert legt sie auf die Raumgestaltung:

„Agentur, das klingt für viele erschreckend. Aber wenn die hierhin kommen, sehen sie den Hof und dass es ganz locker und entspannt ist. Ich finde es auch wichtig, dass ich hier am großen Tisch berate, dass die Leute sich einen Platz aussuchen können. Und dass wir uns gegenüber sitzen und nicht ein Computer zwischen uns ist und 1000 Papiere.“

Der Anteil von Freiwilligen mit Zuwanderungsgeschichte lag 2012 bei rund 30 Prozent, schätzt Anna Asfandiar: „Ich frage in der Beratung nicht, sind Sie Deutscher? Sondern durch die Gespräche, durch das, was sie gemacht haben, durch den Klang des Namens schätze ich es so Pi mal Daumen.“ In der Beratung kommen ihr ihre Sprachkenntnisse zugute: „Ich habe schon auf Polnisch beraten, weil es Leute aus Polen waren, auf Englisch einige Male, auf Spanisch, da mussten wir uns mit Händen und Füßen verständigen. Hier sind nicht nur türkische oder arabische Freiwillige, sondern es ist sehr gemischt.“

Anna Asfandiar lacht, wenn sie an die Beratungen auf Polnisch denkt. Denn obwohl es ihre Muttersprache ist, fühlt sie sich an ihre Studienzeit in Frankfurt Oder erinnert: „Nein, nein, nein, das ist gar nicht so leicht. Die ganzen Begrifflichkeiten habe ich auf Deutsch kennengelernt. Und manchmal fehlen mir die Worte auch, um eine flüssige Beratung anzubieten. Aber die Leute, die zu mir kommen, können auch Deutsch. Ich habe an der Viadrina studiert, da sprach man Viadrinisch, die deutsche und die polnische Sprache wurde vermixt. Und so laufen auch die Beratungen, dass man zwischendurch ein deutsches Wort reinschmeißt.“

„Wenn sie meinen Namen hören, denken Sie vielleicht: Ja, da kann ich mich trauen“

Durch die Beratungen erlebt Anna Asfandiar, dass sich wirklich viele Menschen engagieren möchten. Leider werden sie nicht immer so aufgefangen, wie sie sich das vorstellt. Manche Organisationen melden sich nicht wie versprochen zurück. Das ärgert sie. Im Wedding fühlt sie sich heimisch. Neun Jahre hat sie selbst hier gelebt. „Sicher, es gibt Ecken, wo es schmuddelig ist, wo man nicht gern hingeht. Aber wenn man sich auch die Projektlandschaft anschaut: es ist wirklich sehr dynamisch, sehr lebendig zur Zeit.“

Wenn sie auf das Engagement im Kiez blickt, so hat das ganz unterschiedliche Formen. „Arabische Familien zum Beispiel helfen sich eher untereinander. Sie engagieren sich in Moscheen, in eigenen Einrichtungen und Vereinen. Ich glaube, das ist auch die sprachliche Barriere und das Behördliche – also, dass man irgendwo zur Beratung geht. Das ist vielleicht schon in den Köpfen. Auch in den interkulturellen Elterngruppen, die in der Nachbarschaftsetage stattfinden, entsteht viel gegenseitige Hilfe.“

Anna Asfandiar, glaubt dass ihre eigenen Erfahrungen auch Vorteile für die Arbeit bringen: „Ja, man ist anpassungsfähiger.“ Beim Stichwort Sprachbarrieren kommt sie ins Nachdenken: „Ich sage Sprachbarriere, aber wenn man zu einer Beratung kommt, dann ist es noch schlimmer, auszudrücken, was man eigentlich will. Wenn sie meinen Namen hören, denken Sie vielleicht: Ja, da kann ich mich trauen. Könnte sein … Das habe ich noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet.“

 

Foto: Elisabeth Gregull

September 2013

 

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