„Die Stelle der Integrationsbeauftragten ist eine Schnittstelle zu allen anderen Bereichen in der Verwaltung“
Regina Reinke ist Integrationsbeauftragte im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Im Interview spricht sie über ihr Verständnis von Diversity, die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen und das Freiwillige Engagement von Migrant_innen im Bezirk.
Die Fragen stellte Gergana Vasileva
Das Büro von Regina Reinke befindet sich im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, in der Yorckstraße 4-11. Wenn man es vom nüchternen Flur aus betritt, kommt man in ein gemütliches Zimmer mit Blumen und Espressomaschine. An den Wänden hängen Fotos von Reinkes eigenen Reisen nach Indien und in afrikanische Länder – und die „Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“.
Frau Reinke, Sie sind seit Januar 2008 Beauftragte für Integration und Migration im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Vorher waren Sie in verschiedenen Fachbereichen des Sozialamtes tätig. Was bedeutet der Begriff „Diversity“ in Ihrer Arbeit?
Der Begriff „Diversity“ war eigentlich vorher schon da. Auch wenn er nicht so konkret benannt wurde, ist er immer in die Arbeit eingeflossen – auch im Sozialamt, wo ich in unterschiedlichen Bereichen tätig war. Vielfalt ist in allen Bereichen gerade hier im Bezirk immer relevant gewesen. Auf Vielfalt einzugehen, offen zu sein, sensibel zu sein ist nicht nur im Bereich Integration und Migration, nicht nur bei der Stelle der Integrationsbeauftragten wichtig. Diversity ist Vielfalt, der Umgang mit ganz unterschiedlichen „Hintergründen“, nicht nur Migrationshintergründen. Sondern es bezieht sich auch auf andere Bereiche – Alter, Behinderung, Religionszugehörigkeit. Es ist grundsätzlich wichtig, aber wird im Allgemeinen in der Verwaltung noch nicht so wahrgenommen, wie ich es mir wünschen würde.
Wie würden Sie die vielfältigen Aufgabenbereiche Ihrer Arbeit beschreiben?
Ich kann ganz schlecht sagen, was Priorität hat. Ein Bereich, der jetzt zumindest seit anderthalb Jahren sehr in den Vordergrund drängt, ist die Beratungstätigkeit. Und zwar Beratung im Hinblick auf Probleme beim Aufenthalt, bei der Androhung von Abschiebungen, bei der Verlängerung oder Beendung von Aufenthaltsverhältnissen, beim Familiennachzug. Alles, was mit der Umsetzung des Aufenthaltgesetzes verbunden ist, ist ein Schwerpunkt. Genauso wichtig ist alles, was mit Bildung, Sprachförderung, Zugang zum Arbeitsmarkt zu tun hat. Da sind wir wieder bei Diversity. Der Zugang zum Wohnungsmarkt ist für alle aufgrund der Mietsituation schwierig geworden, aber insbesondere auch für Migranten. Häufig sind die Vermieter auf Grund des Namens sehr zurückhaltend, es erfolgt oft Diskriminierung.
Rechtsextremismus-Prävention, Antisemitismus-Prävention fallen in meinen Aufgabenbereich und ebenso die Beteiligung an ganz unterschiedlichen Arbeitsgruppen. Die Stelle der Integrationsbeauftragten ist eine Schnittstelle zu allen anderen Bereichen in der Verwaltung. Menschen mit Migrationshintergrund haben mit allen Bereichen – Gesundheitsamt, Jugendamt, Wirtschaft – zu tun. Soweit es möglich ist, versuche ich die Belange dieses Personenkreises auch mit einzubringen. Es ist sehr hilfreich, weil ich schon Vorkenntnisse im Aufenthaltsrecht und in den Leistungsbereichen habe. Da hat man eine bestimmte Hintergrundinformation und kann mit den entsprechenden Stellen eine ganz andere Kommunikation eingehen. Es ist wichtig beide Seiten zusammenzubringen und zu vermitteln.
Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen aus?
Aus meiner Sicht sehr gut. Im Beirat für Migration und Integration sind diverse Migrantenorganisationen vertreten. Ich würde auch die mit einbeziehen, die zwar nicht als solche benannt sind, aber sich mit integrations- und migrationsspezifischen Themen befassen, zum Beispiel die AWO und die Caritas. Wir haben 28 Mitglieder im Beirat, davon sind 15 Vertreter_innen von Migrantenorganisationen. Zu einigen besteht dadurch schon ein guter Kontakt und gute Anbindung, die kann nicht mit allen erfolgen. Im Bezirk gibt es etwa 100 unterschiedliche Migrantenorganisationen. Es ist klar, dass man nicht mit allen in gleicher Art und Weise kommunizieren kann. Ein Kreis von vielleicht 20 Organisationen hat sich herausgebildet. Die anderen kennt man mehr oder weniger. Ich muss immer wieder nachschlagen, ob es sie immer noch gibt. Oft sind es kleine Vereine, die kein eigenes Büro haben und sie können sich oft nicht lange halten. Einige Organisationen bekommen keine finanzielle Unterstützung und die Arbeit beruht viel auf ehrenamtlichem Engagement. Es ist eine größere Fluktuation als bei den großen Trägern.
Wie engagieren sich aus Ihrer Sicht Migrant_innen ehrenamtlich in Friedrichshain-Kreuzberg?
Ehrenamt ist ja gerade dieses Thema. Es wird immer wieder gesagt, dass Migranten sich nicht ausreichend engagieren. Ich habe eine andere Sichtweise darauf, die natürlich auf den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fokussiert ist. Ich bin schon der Meinung, dass Migranten sich sehr wohl ehrenamtlich engagieren. Wir haben etliche Träger im Bezirk, wo ein sehr großes ehrenamtliches Engagement von Migranten vorhanden ist. Was ganz wichtig ist, dass ihre Meinung, ihre Ansicht gefragt ist und sie wertgeschätzt werden. Die guten Ideen von Migranten müssen umgesetzt werden und irgendwo einfließen. Da denke ich zum Beispiel an das Begegnungszentrum der AWO, wo sich ganz viele auch ältere Migranten seit Jahren ehrenamtlich engagieren. Auch dann, wenn sie nicht mehr hier im Bezirk wohnen, bringen sie sich immer noch dort ein. Es zeigt, dass die Anerkennung, die Wertschätzung ein ganz großer Punkt beim ehrenamtlichen Engagement ist.
Welche Erlebnisse und Erfahrungen haben Sie mit dem Thema „Migration und Behinderung“?
Seitdem ich auf dieser Stelle bin, habe ich mich mehr mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Und zwar war die erste Erfahrung mit einem Projekt, das 2009 angeschoben wurde. Da hatten wir ein von der Senatsverwaltung unterstütztes Projekt mit einer externen Begleitung mit dem Titel „Prozessorientierte interkulturelle Organisationsentwicklung“.
Es war auf die Verwaltung ausgerichtet und es gab zwei unterschiedliche Bereiche – Bibliotheken und Soziales. Im Fokus stand der Zugang zu den Angeboten der Pflege und der Eingliederungshilfe von Migranten mit Behinderung oder gesundheitlicher Einschränkung. Im Rahmen dieses Projektes haben wir einen relativ umfangreichen Fragebogen – eine Kombination aus feststehenden Fragen und einem qualifizierten Interview – ausgearbeitet.
Wir haben diesen Fragebogen dann ausgewertet und anhand der Ergebnisse einen Maßnamenkatalog erstellt. Das Ergebnis hat uns nicht wahnsinnig überrascht – es besteht eine Scheu vor Behörden aufgrund negativer Erfahrungen. Informationen sind nicht bekannt. Einige Maßnahmen haben wir umgesetzt und einiges davon ist sehr gut angekommen – zum Beispiel die Beratung vor Ort zusammen mit der Beauftragten für Behinderung bei drei Trägern hier im Bezirk. Wir haben gesagt, wir bieten Beratung, Infoveranstaltungen zu ganz speziellen Themen an. Es ist noch Etliches erforderlich, aber die Umsetzung können wir nicht alleine machen. Da sind andere Schritte erforderlich. Wir sind aber weiter dran. Wir machen das Thema wieder präsent, fragen nach und fordern ein. In diesem Bereich ist noch ganz viel zu tun, in der Verwaltung und bei den Trägern.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft zum Thema Diversity und Antidiskriminierung?
Ganz viel wünsche ich mir. Ich lege den Fokus immer eher auf die Verwaltung. Hier muss ich immer wieder feststellen, dass es nicht immer nur mit Schulung zu tun hat. Die Grundeinstellung muss sich verändern. Es ist schon erforderlich, dass sich die Einstellung verändert – das kann ich am besten, wenn es entsprechend auch auf der Leitungsebene vorgelebt wird. Das ist für mich eine Grundvorausaussetzung.
Ich bin sonst jemand, der immer auf Freiwilligkeit setzt. Es ist sehr zwiespältig. Wenn ich alles auf Freiwilligkeit setze, dann werden sich nur die darum bemühen, die eher schon offen sind und Interesse daran haben. Ich habe noch die Hoffnung, dass, wenn es verpflichtend ist, diejenigen, die es ablehnen, sich im Rahmen einer solchen Fortbildung überzeugen lassen. Ich plädiere immer dafür – und zum Glück bin ich da nicht alleine -, dass Diversity-Trainings genauso in einem Aus- und Fortbildungsplan mit aufgenommen werden und deswegen auch verpflichtend sind.
Es ist wichtig, den Rahmen so einer Veranstaltung zu überdenken und teilweise ein anderes Format zu finden, das vielleicht eher angenommen wird. Ich habe an etlichen Veranstaltungen zu dieser Thematik teilgenommen und habe gemerkt, dass viele Kollegen Veranstaltungen am liebsten so haben wollen wie in der Schule. Eine Hürde ist es für viele etwas von sich preiszugeben. Es ist für viele eine ganz große Hemmschwelle, und da müsste man einen Mittelweg finden. Es gibt ganz unterschiedliche Formate. Man sollte sich die Good-Practice-Beispiele ansehen und rausfinden, was für uns möglich und machbar ist und wo man am besten so einen Ansatz findet.
Welche Perspektiven für einen neuen Umgang mit Vielfalt können Sie in Ihrem Bezirk finden?
Wir haben bestimmte Ziele, aber wir können diese nicht alleine umsetzen. Ziel ist gleicher, uneingeschränkter Zugang für alle zu allen Bereichen – Schule, Soziales, Bildung, Arbeitsmarkt. Der Bezirk kann sie durch verschiedene Maßnahmen unterstützen, aber es gibt Themen, wo auch die Bundespolitik gefragt ist. Da muss deutlich gemacht werden, dass es gewollt ist.
Wir können Maßnahmen unterstützen, wenn es um gleichen Zugang zur Ausbildung in der Verwaltung geht. Wir haben einen Bezirksamtsbeschluss vom Jahr 2006, wo wir gesagt haben, unsere Zielrichtung ist, dass sich bei den Mitarbeitern der Verwaltung die Gesellschaft im Bezirk widerspiegeln soll. In Kreuzberg haben wir zurzeit einen Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund von knapp 50 Prozent. Im Durchschnitt liegt er in Friedrichshain-Kreuzberg bei etwa 36 Prozent. Wir sind in der Verwaltung ganz weit davon entfernt. Ein Grund dafür ist es, dass wir einen Einstellungsstopp haben. Die Personalpolitik ist Vorgabe des Senats.
Wo wir gut aufgestellt sind, ist bei den Auszubildenden – da liegen wir bei 50 Prozent. Es bringt aber nicht wahnsinnig viel, weil wir sie nach der Ausbildung nicht fest übernehmen können. Wenn man nicht rechtzeitig daran denkt, den Nachwuchs auszubilden, zu fördern und zu integrieren, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll. Der Bezirk kann es nicht alleine bestimmen. Da ist Umdenken auf Seite der Senatsverwaltung erforderlich. Es ist auch die Bundesregierung gefragt. Wir können als Bezirk, als Land Berlin einfordern, hinweisen, aber wir können nicht alles regeln.
Foto: Elisabeth Gregull
Mai 2014
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