„Ich finde es immer schwierig, soziale Arbeit ohne eine politische Dimension zu machen“

Von Julia Brilling

Logo der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innenDie “Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V.” (KuB) in der Oranienstraße in Berlin–Kreuzberg besteht bereits seit über 30 Jahren und kümmert sich vorrangig um die Belange von Geflüchteten und Migrant_innen mit oft unklaren Aufenthaltstiteln. Die KuB bietet sowohl Rechtsberatung, Sprachkurse als auch Sozialberatung und kulturelle Projekte an. Der Verein lebt von den Engagierten, die sich vor allem durch sprachliche und kulturelle Vielfalt auszeichnen. Allein die Website der KUB ist in neun Sprachen zugänglich. Das Team kommt aus verschiedenen Erdteilen und Fachgebieten wie Jura, Sozialarbeit, Psychologie, Familienhilfe, Kulturwissenschaften und anderes mehr.

Stephen Sulimma hat vor 15 Jahren als Praktikant bei der KuB begonnen und ist seitdem ein fester Bestandteil des sich stetig wandelnden und wachsenden Teams. Zu seinen Hauptaufgaben in der KuB gehören die Projektkoordination und Organisation.

Können Sie uns kurz die Arbeit der KUB vorstellen?

Die KUB besteht seit 1983, in ihrer ersten Zeit vor allem als Selbsthilfeorganisation von Geflüchteten, und hat sich dann über die Jahre entwickelt und verändert. Aber auch heute richten sich die Angebote immer noch vor allem an Geflüchtete. Der größte Teil ist rechtliche Beratung besonders zu Asyl- und Aufenthaltsrecht, und es gibt Sprachkurse. Es gibt einen kleinen Anteil an psychosozialer Beratung und ein Projekt mit sozialpädagogischem Schwerpunkt, das ist eine Zeit lang von der EU bezahlt worden, im Moment aber gerade nicht.

Also basiert alles auf Freiwilligen-Arbeit? Gibt es irgendeine Grundfinanzierung vom Senat oder anderen Stellen, die langfristig die Finanzierung sichern würde?

Nein, vom Senat nicht. Unser Dachverband, Der Paritätische Wohlfahrtsverband, sieht es ähnlich wie wir: Es gibt sehr, sehr wenige Einrichtungen, die Angebote an diese Zielgruppe richten, weil sie eigentlich nicht zu finanzieren sind. Der Paritätische gibt uns jedes Jahr so viel Geld, dass es knapp für die laufenden Kosten reicht. Dann finanzieren wir zum Teil kleinere Projekte durch Anträge bei Stiftungen. Spenden spielen eine gewisse Rolle, Soli-Veranstaltungen, Parties und Konzerte. Die Europäische Union hat uns drei Jahre lang eine halbe Stelle finanziert und drei weitere Jahre, zwei halbe Stellen.

Der Senat lobte zwar das, was wir machen, aber er findet auch, dass unsere Angebote für Menschen ohne Aufenthaltstitel nicht nötig sind. Unsere Angebote richten sich an Undokumentierte, Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus oder solche, die von Ausweisung bzw. Abschiebung bedroht sind. Unser Problem ist: für sie kann man aus naheliegenden Gründen keine Förderanträge stellen. Und die Regeldiente denken leider überhaupt nicht daran, diese Menschen zu beraten. Sei sind nur für Menschen mit Aufenthaltsstatus zuständig.

Wie viele Leute engagieren sich denn ungefähr in der KUB?

Im letzten Jahr haben wir gezählt, da waren es knapp 260 Leute. Aber ganz genau können wir das immer nicht sagen, weil es viele Leute gibt, die uns unterstützen, aber nicht im Büro präsent sind.

Das heißt, diese Freiwilligen machen die Sozialbetreuung, Sprachkurse und Ähnliches?

Genau, der allergrößte Teil ist einmal die Woche da und macht dann Kurse, rechtliche oder psychosoziale Beratung oder Begleitung. Es gibt wenige, die mehr als einmal die Woche da sind, und davon sind die meisten im Praktikum. Das Praktikum ist für uns eine ziemlich wichtige Ressource, weil die Leute oft studieren und sich ihre Zeit so einteilen, dass sie relativ oft hier sein können. Es ist ein banaler Umstand, aber wenn an fünf Tagen die Woche eigentlich jeden Tag eine andere Besetzung hier ist, ist es schwer die Verbindung zu den Leuten zu halten.

Wie viele Leute sind es denn, die herkommen mit Beratungsbedarf oder zu Sprachkursen?

Also wir haben eine Statistik und den Jahresbericht, es sind mehrere Tausend Beratungen pro Jahr. Das entspricht nicht dem Bedarf, wir können nur einen Teil des Bedarfs bedienen. Bei den Deutschkursen, speziell in den Anfänger_innenkursen, nehmen pro Kurs 25-30 Leute teil und in den höheren Kursen sind ca 10-20 Leute. Allerdings ist es auch da so, dass der Bedarf viel viel größer ist als das Angebot. Die größte Aufregung hier ist immer am ersten Mittwoch im Monat, wenn die Anmeldung für die Kurse stattfindet. Es gibt besonders am Anfang eines Semesters oft mehr als 100 Anmeldungen.

Die Politik spricht ja gern davon, dass «Integration» gefördert werden soll, also vor allem Sprachkurse. Aber die Sprachkurse werden auch nicht vom Senat gefördert?

Nein. Wir haben Stiftungen gefragt, ob sie Materialien bezahlen würden und das geht, also Bücher und dergleichen. Wir können gelegentlich Honorare unterbringen bei Stiftungen, aber eigentlich ist alles ehrenamtlich. Wir haben einmal zusammen mit anderen einen Antrag beim Senat gestellt für Deutschkurse, die nicht die Voraussetzungen haben, die du erfüllen musst, wenn du an einem Integrationskurs teilnehmen möchtest und das wurde damals abgelehnt. Die Begründung war, das sei eine Aufgabe von Regeldiensten und werde dort auch finanziert. Für die mit Aufentshaltstitel gibt es angeblich genug und für die anderen darf es nichts geben.

Das ist eine Logik, die man sehr oft findet, auch bei Finanzierungsanträgen von Beratungen zum Beispiel. Die Ablehnung wird damit begründet, dass Behörden eine Beratungspflicht haben und diese Angebote durch die Behörden abgedeckt sind. Daher bräuchte es Einrichtungen wie die KUB nicht.

Und für bestimmte EU-Förderungen müssten die Menschen einen bestimmten Aufenthaltstitel haben. Aber unsere Zielgruppe ist von diesem Titel oft weit entfernt, das ist also schwierig.

Worum ging es in dem Projekt, das die EU tatsächlich finanziert hatte?

Es war ein Projekt für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Es gibt von der EU eine Richtlinie für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Das sind Kranke, Traumatisierte, Schwangere etc. Berlin hat über mehrere Jahre ein Netzwerkprojekt gefördert, wir waren als Frauenfachstelle zuständig für Schwangere und Alleinerziehende.

Aber ist es nicht auch so, dass EU-Projekte extrem bürokratielastig sind und man besonders zur Abwicklung bereits eine volle Stelle bräuchte?

Ja, die Abwicklung hat sicherlich gut die Hälfte meiner Arbeitszeit eingenommen. Es ist immer häufiger so in den Anträgen, dass auf Quantität geachtet wird, was in der sozialen Arbeit so aber nicht möglich ist. Effizienzkriterien erfüllen zu müssen hat mitunter katastrophale Folgen für die soziale Arbeit, besonders mit Geflüchteten. Wir haben oft das Problem, dass es Förderbedingungen gibt, die bestimmte Leute ausschließen. Wir haben aber die Idee, Projekte so aufziehen, dass wir niemanden ausschließen müssen.

Wer kommt zur KUB, um sich zu engagieren, welche Motive haben die Menschen?

Wir haben im Schnitt 5-6 Anfragen pro Tag für Unterstützung und pro Tag 1-2 Praktikumsanfragen. Es ist natürlich eine heterogene Gruppe. Es sind sehr viele verschiedene geografische, berufliche und soziale Herkünfte. Die altruistische Komponente spielt bei vielen eine Rolle.

Bei vielen auch eine politische Dimension wie Unzufriedenheit und der Wunsch, in einem politischen Projekt tätig zu sein. Ich finde es immer schwierig, soziale Arbeit ohne eine politische Dimension zu machen. Und vor allem in der Arbeit mit Geflüchteten ist das unmöglich. Du kannst hier nicht arbeiten, wenn du dir nicht klarmachst, wieso die gesellschaftlichen Bezüge und Gesetze so sind, wie sie sind.

Für viele kommt die Möglichkeit, Berufserfahrungen zu sammeln, dazu. Bei den Deutschlehrer_innen studieren einige Deutsch als Fremdsprache.

Wie ist dann der Auswahlprozess? Also bewerben sich die Leute richtig mit Lebenslauf und Anschreiben und es gibt dann Bewerbungsgespräche?

Zum Teil ja. Es gibt viele Leute, die sich kurz melden und etwas machen wollen, und andere, die richtig Bewerbungsmappen schicken. Bei Praktikumsplätzen haben wir uns auf eine Anzahl verständigt, die wir gut betreuen können. Und wir laden tatsächlich Interessierte in Teamsitzungen ein und sind in der Situation, dass wir aussuchen können.

Dann schauen wir auch, wie der gegenwärtige Bedarf ist – ob etwa die Beratungsgruppe neue Leute braucht – und entscheiden dementsprechend. Gelegentlich sagen auch Leute, sie würden gerne ein ganz neues Projekt machen, neue Sportarten vermitteln oder Musik machen, dann verständigen wir uns auch mit denen und nutzen unsere Infrastruktur als Verein dafür. Momentan gibt es mehr Interesse, als wir absorbieren können.

Woher kommt das?

Ich bin mir sicher, dass die mediale Präsenz des Themas einen großen Teil dazu beiträgt, dass das Interesse so groß ist. Wir haben auch einen gewissen Ruf. Die ganze Organisation ist eigentlich auf ehrenamtliche Arbeit ausgelegt. Das ist oft aus verschiedenen Gründen eine ziemlich fordernde Arbeit. Die Arbeit mit den Leuten kann einen sehr mitnehmen. Aber auch in der Verwaltungsarbeit gibt es Ärger. Du hast ständig damit zu tun den Betrieb zu organisieren.

Nun engagieren sich ja sehr viele Leute bei der KUB und Sie haben gesagt, Sie suchen Leute aus und können in gewisser Weise davon ausgehen, dass sie die politische Position der KUB teilen. Aber hatten Sie schon mal Konflikte, wo zum Beispiel eine weiße deutsche Person hier hergekommen ist und paternalisierend gegenüber Klient_innen war? Wie würden Sie so etwas auffangen?

Oft passiert das hier nicht. Ich glaube, weil die meisten, die hierherkommen, sich informiert haben, was wir tun, so dass es grobe Missverständnisse selten gibt. Gelegentlich gibt es Situationen, in denen Leute sich anders verhalten haben als erwartet und wir an Grenzen kommen. Wir haben sowohl Intervision bei einer Kollegin von „Reach Out“ als auch ein internes Mediationsteam und versuchen, Konflikte dann in der Regel ziemlich geduldig zu lösen. Wenn es aber gar nicht geht, müssen wir uns von den Leuten trennen. Aber ich kann mich gerade mal an drei Fälle erinnern in den 16 Jahren. Wir haben eine relativ große Spannbreite an Persönlichkeiten und das begrüße ich auch. Es gibt schon Unstimmigkeiten zum Teil, es gibt Leute, die treten selbstbewusster auf als andere, das macht sich dann im Beratungskontext bemerkbar.

Tatsächlich sind wir in der Beratungssituation gegenüber Klient_innen die Expert_innen und aufgerufen, die Selbstbestimmungspotentiale der ratsuchenden Person zu berücksichtigen und deren Interessen zu vertreten. Das ist oft ein Balanceakt und auch frustrierend. Weil es in vielen, speziell rechtlichen Situationen, nicht geht. Ich hab neulich mit einem Kollegen aus der Rechtsberatung gesprochen, der sagt, es raubt ihm den letzten Nerv den Leuten sagen zu müssen: „Es geht nicht“. Wenn sie etwa in Italien ihren Erstantrag gestellt haben und er ihnen dann sagen muss, sie müssen dort ihr Verfahren machen.

Die KUB vertritt grundsätzlich den Standpunkt, dass allen Menschen ein sicherer Aufenthaltsstatus sowie politische, soziale und ökonomische Gleichberechtigung zustehen. Das ist unser Ansatz. Wir setzen uns auch politisch dafür ein, dass Geflüchtete menschenwürdig in Deutschland leben können und ihre Rechte anerkannt werden. Wir kritisieren die Flüchtlingspolitik Deutschlands und der EU. Wenn man Arbeit mit unserer Zielgruppe machen möchte, mit einer Perspektive, die Hierbleiben einschließt, ist es ganz, ganz schwer, das finanziert zu bekommen.

Juni 2015

 

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