„Ohne Antidiskriminierung ist letztlich Diversity auch nicht denkbar“

Zum Launch unseres Magazins sprachen wir mit Judy Gummich vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Wir haben sie gefragt, wie die Begriffe Diversity, Inklusion und Antidiskriminierung zusammenhängen. Und was Organisationen, beachten sollten, die möglichst inklusiv sein wollen.

Von Elisabeth Gregull

GummichDie Begriffe Vielfalt und Diversity haben neuerdings Konjunktur in Deutschland. Deswegen haben wir bei einer Expertin nachgefragt, wie sie die Begriffe in ihrer Arbeit benutzt und definiert. Judy Gummich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte für die Themen Menschrechtsbildung, Inklusion und Diversity. Zum Thema Inklusion hat das Institut ein Online-Handbuch herausgegeben und eine Website in einfacher Sprache. Auch Antidiskriminierung gehört zu den Arbeitsbereichen des Instituts.

 

 

Foto: Elisabeth Gregull

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Textfassung des Interviews

„Ohne Antidiskriminierung ist letztlich Diversity auch nicht denkbar“

Zum Launch unseres Magazins sprachen wir mit Judy Gummich vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Wir haben sie gefragt, wie die Begriffe Diversity, Inklusion und Antidiskriminierung zusammenhängen. Und was Organisationen, beachten sollten, die möglichst inklusiv sein wollen.

Von Elisabeth Gregull

Frau Gummich, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte für die Themen Menschenrechtsbildung, Inklusion und Diversity. Und meine erste Frage an Sie ist, wie definieren Sie den Begriff „Diversity“ in Ihrer Arbeit?

Das ist eine gute Frage. Weil eigentlich heißt es ja „Deutsches Institut für Menschenrechte“, das Thema Diversity war am Anfang noch gar nicht so stark besetzt. Und wir sind tatsächlich aktuell in einem Diskussionsprozess auch innerhalb des Instituts, um zu gucken, wie sind Menschenrechte mit Diversity, aber auch mit Inklusion verknüpft. Also wo sind Schnittmengen, wo sind Unterschiede. Deshalb kann ich Ihnen jetzt gar nicht explizit sagen, genau das ist das, was das Deutsche Institut für Menschenrechte zum Thema Diversity sagt. Das ist einfach ein Prozess. Aber ich denke, dass es grundsätzlich immer Prozesse sind, um die es geht, wenn es darum geht, bestimmte Dinge in der Gesellschaft voranzubringen.

Ich kann sagen, wie ich Diversity definiere. Also nicht nur ich, aber schon basierend natürlich auf dem, was andere schon gesagt, geschrieben und diskutiert haben. Also für mich bedeutet Diversity tatsächlich Vielfalt, Vielfältigkeit – aber auch Unterschiedlichkeit und Gemeinsamkeiten, und zwar beides zusammen. Also nicht nur die Unterschiedlichkeiten zu sehen, sondern auch die Gemeinsamkeiten zu sehen. Das ist für mich in dem Begriff „Diversity“ drin. Deshalb ziehe ich auch den Begriff „Diversity“ vor und nicht den Begriff „Vielfalt“. Diese Betonung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Das sehen nicht alle so, also wenn man durch die Literatur durchgeht, aber in den Kontexten gerade im Non-Profit-Bereich, wo ich mich bewege, ist das eher das Verständnis von Diversity.

Wie verhalten sich denn Inklusion und Diversity zueinander aus Ihrer persönlichen Sicht oder in Ihrer Definition?  

Das Wichtige bei Inklusion ist, dass es menschrechtsbasiert ist, es ist ein menschenrechtsbasiertes Verständnis. Das hat Diversity nicht explizit. Also bei Diversity kann man sagen, es hat zwei unterschiedliche Wurzeln mehr oder weniger. Es kommt sehr stark aus der Bürgerrechtsbewegung aus den USA, auf der einen Seite. Aber auch sehr stark aus Unternehmenssicht, wo es darum geht, wie können wir neue Märkte eröffnen, wie können wir neue Mitarbeitende gewinnen und so weiter. Das hat dann eher den profitorientierten Aspekt, und der andere hat eher den Antidiskriminierungsaspekt. Und Inklusion hat die Basis der Menschenrechte. Da geht es darum, dass alle möglichst diskriminierungsfrei in allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben können, um es mal ganz kurz zu fassen.

Also der Begriff Inklusion ist hier in Europa, vor allem in Deutschland, sehr stark mit der UN-Behindertenrechtskonvention verbunden. In anderen Ländern ist das gar nicht zwangsweise so, da wurde Inklusion schon viel früher viel breiter verstanden. Es ist egal, ob man nach Asien schaut, da ging es um die Einbeziehung von Menschen, die arm sind, wo also Armut ein ganz starkes Thema war, wenn von Inklusion gesprochen wurde. Oder von indigenen Völkern, wo von Inklusion gesprochen wurde. Diese spezifische Sicht oder die spezifische Verbindung mit Behinderung ist tatsächlich eher eine sehr deutsche Angelegenheit. Aber weil es eine starke Lobby gibt für dieses Thema, öffnet es auch Möglichkeiten, doch noch mal breiter zu diskutieren und wirklich stärker den Blick auch noch mal auf die Menschenrechte zu lenken.

Sie meinen, es besteht eine enge Verbindung zwischen Inklusion und Antidiskriminierung?

Inklusion und Antidiskriminierung sind nicht voneinander zu trennen, letztendlich auch Diversity nicht. Selbst wenn man es auch nur in dem Sinne von „Wir wollen jetzt Gewinne machen“ sieht, auch dann – da ist Antidiskriminierung dann eher Mittel zum Zweck. Wenn man von Inklusion spricht, ist die Zielsetzung eher nicht zu diskriminieren beziehungsweise es ist auch eine Voraussetzung, das bedingt sich immer ein bisschen gegenseitig. Alles muss diskriminierungsfrei sein letztendlich, dann habe ich Inklusion, mehr oder weniger, deswegen ist es immer beides: Es ist sowohl ein Ziel wie auch eine Vorausbedingung, um dann eben auch tatsächlich eine inklusive Gesellschaft zu haben.

Jetzt ist es ja so, dass der Diversity-Begriff oder das Thema Vielfalt inzwischen mehr Konjunktur hat in Deutschland. Plötzlich scheint alles ganz bunt und toll zu sein – sehen Sie darin auch eine Problematik?

Ja. Ich sehe das durchaus problematisch. Nicht der Begriff „Diversity“ oder „Vielfalt“ an und für sich, sondern wie er benutzt oder eingesetzt wird, missbraucht kann man teilweise schon sagen. Aus Imagegründen schreibt man einfach Diversity hin, ohne zu definieren, was dahintersteckt. Wenn man dann genauer hinsieht, geht es relativ wenig um Vielfalt und um Nicht-Diskriminierung.

Der andere Punkt ist, dass es häufig eingeengt wird auf einige Persönlichkeitsaspekte. Manche sehen dann zum Beispiel nur Menschen mit dem sogenannten Migrationshintergrund unter Diversity-Aspekten und der Rest fällt raus. Und das ist eigentlich auch nicht das, was Diversity meint.

Welche Unterschiede gibt es denn bei den Begriffen Diversity, Antidiskriminierung und Inklusion?

Bei Inklusion ist es so, auch in Ergänzung noch mal zu den Menschenrechten und zu Diversity: Inklusion ist ein sehr systemischer Ansatz. Das wird häufig übersehen. Weil Inklusion meint alle. Das meint nicht „die Besonderen“, das meint nicht nur die Menschen mit Migrationshintergrund, die Menschen mit Behinderungen, die Frauen, wie auch immer – sondern Inklusion meint alle. Und das ist eine neue Art, tatsächlich auch zu denken, die der Inklusions-Begriff mit sich bringt oder das Konzept. Weil alle mit einbezogen werden, gemeinsam dafür zu sorgen, dass alle Menschen teilhaben können in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Diskriminierung und Nicht-Diskriminierung ist sehr eng verbunden mit dem Thema Diversity. Wobei Diversity über Antidiskriminierung hinausgeht. Das ist mir noch mal wichtig, das zu benennen. Weil bei Diversity geht es tatsächlich um Wertschätzung. Antidiskriminierung heißt so, wenn ich das mal in ganz einfachen Worten formulieren will: „Tu niemandem was Schlechtes“. Und bei Diversity geht es eher darum, diese Unterschiedlichkeit, diese Vielfalt, die vorhanden ist, tatsächlich auch für etwas Positives zu nutzen. Und ohne Antidiskriminierung ist letztlich Diversity auch nicht denkbar. Das steckt implizit eigentlich immer mit drin.

Wenn Sie über Freiwilliges Engagement, Bürgerschaftliches Engagement und Diversity nachdenken, was wäre Ihnen wichtig? Oder was fällt Ihnen spontan dazu ein?

Was mir spontan dazu einfällt ist zum einen, dass es ohne bürgerschaftliches Engagement keine gesellschaftlichen Veränderungen geben wird. Es ist notwendig, dass sich Menschen dafür engagieren.

Und ein anderer Aspekt, der mir auch gleich eingefallen ist: es braucht sehr viel Bewusstseinsbildung. Teilweise über die eigene vorhandene Vielfalt. Manche denken, das ist alles so schön homogen. Wenn man sich das aber genaue anguckt – man unterscheidet sich in sozialer Herkunft, in der Art und Weise, wie man lebt, oder ob man Kinder hat oder keine hat, ob man in einem Heim aufgewachsen ist oder in einer Familie, wie alt man ist. Es gibt ganz viele Dinge, die einen unterscheiden, aber auch viele Dinge, die einen tatsächlich auch verbinden und wo man Gemeinsamkeiten hat. Aber ein Bewusstsein dafür zu schaffen, den eigenen Reichtum sehen zu können, der vorhanden ist, das ist für mich eine Grundvoraussetzung. Ja, deshalb ist für mich Bewusstseinsbildung ganz wichtig.

Und auch darüber nachzudenken oder zu lernen, wie funktionieren Mechanismen von Ausgrenzung eigentlich. Dafür ein besseres Verständnis zu schaffen. Weil die meisten wollen das gar nicht, aber trotzdem passiert es. Weil wir eben unsere Stereotypen im Kopf haben, unsere Bilder im Kopf haben, weil wir die Dinge immer schon so gemacht haben, wie wir sie gemacht haben. Ohne zu gucken, was kann ich denn verändern, wenn ich wirklich alle in weitestem Sinne einbeziehen möchte.

Und was würden Sie denn Organisationen empfehlen, die mit Freiwilligen arbeiten, wenn sie möglichst inklusiv sein wollen?

Der erste Schritt ist anzuerkennen, wir haben Handlungsbedarf. Der zweite ist die Offenheit zu haben, dafür auch tatsächlich etwas zu tun. Und dann der dritte Schritt ist einfach, Bewusstsein zu schaffen für Vielfalt. Also was heißt das überhaupt, wie unterscheiden wir uns, warum unterscheiden wir uns, wie können wir damit umgehen?

Weil wenn es um Inklusion geht, geht es ja nicht darum, dass wir alle der gleichen Meinung sind. Es geht ja nicht darum, dass wir alle die gleiche Religion haben, sondern dass wir alle die gleichen Rechte haben. Unsere Menschenrechte zu verwirklichen, darum geht es. Es geht nicht um Gleichmacherei, das wird manchmal auch gleichgesetzt. Sondern wie schaffen wir es, mit unseren Unterschieden und Unterschiedlichkeiten aktiv umzugehen. Aber auch in dem Sinne, dass eben nicht diskriminiert wird, dass wir unsere Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit wertschätzen, auch unsere Gemeinsamkeiten wertschätzen, das gehört für mich mit dazu. Das würde ich Organisationen raten.

Und ganz hilfreich ist es, Fortbildungen zu machen, Diversity-Trainings, wo es tatsächlich mehr ums Bewusstsein geht. Aber es geht auch auf der Wissensebene darum, was gibt es überhaupt für Instrumente, was kann ich tun. Auf der Handlungsebene, wie kann ich das ganz konkret auch in meinem Bereich umsetzen. Da braucht es manchmal Hilfestellung, begleitend.

Wichtig ist, dass man sich klarmacht, das ist ein Prozess. Es geht nicht von heute auf morgen, man braucht Geduld. Weil Veränderungen, gerade gesellschaftlicher Art, sind einfach langsam. Aber trotzdem auch immer wieder dranzubleiben. Und solche Prozesse, die laufen nicht nebenbei. Das muss wirklich Aufgabe sein von Organisationen, wie irgendwelche anderen Aufgaben – Verwaltung, Buchhaltung, Organisation von Veranstaltungen – genauso muss das eben auch ein Arbeitsbereich sein. Das muss Thema sein in Teamsitzungen – wie haben wir das umgesetzt, wie sind wir damit weitergekommen, brauchen wir noch irgendwie Unterstützung von außen? Das muss wirklich zum Thema gemacht werden und auch Thema bleiben. Einmalige Trainings sind zwar gut, um etwas anzustoßen, aber es braucht immer längerfristig auch noch mal eine Begleitung.

 

September 2013