Ehrenamt, Fortbildungen und Barrierefreiheit

Eileen Moritz und Lutz Niestrat arbeiten bei der „Politikberatung behinderte Expert*innen“. Auch aus eigener Erfahrung wissen sie: im Engagement und bei Fortbildungen gibt es viele Barrieren für Menschen mit Behinderungen – und Wege, sie zu überwinden.

Von Elisabeth Gregull

Eileen Moritz und Lutz Niestrat Politikberatung behinderte Expert*innenBei unserer Fachtagung „Cross-Over im Engagement“ wirkte Eileen Moritz von der „Politikberatung behinderte Expert*innen“ als Referentin und Moderatorin mit. Sie koordiniert die Geschäftsstelle der Politikberatung und ist für die politische Bildungsarbeit zuständig. Eileen Moritz ist erfahrene Fortbildnerin zu den Themen Inklusion, Empowerment und Diversity.

Wir haben sie und ihren Kollegen Lutz Niestrat, der bei der Politikberatung den wissenschaftlichen Bereich koordiniert, besucht und mit den Expert*innen über Ehrenamt, Barrierefreiheit und Fortbildungen gesprochen.

 

Foto: Lutz Niestrat

Verwandte Themen im Magazin

Audio „Ich werde solange rumstochern, bis die Menschen die Augen aufmachen“

„Wo man also weggeht vom Einzelfall und sagt: so, das ist die Querschnittsaufgabe“

Alte Gewohnheit, neue Aufgabe

Barrieren im Freiwilligenmanagement abbauen

Fotogalerie BarriereAlltag #1

 

_________________________________________________________________

Textfassung des Audio-Beitrags

Ehrenamt, Fortbildungen und Barrierefreiheit

Eileen Moritz und Lutz Niestrat arbeiten bei der „Politikberatung behinderte Expert*innen“. Auch aus eigener Erfahrung wissen sie: im Engagement und bei Fortbildungen gibt es viele Barrieren für Menschen mit Behinderungen – und Wege, sie zu überwinden.

Von Elisabeth Gregull

 

„Wenn ich keine Barrierefreiheit schaffe oder wenn ich nicht den gleichen Zugang für alle schaffe, damit gibt es ja immer eine emotionale Botschaft – ob man will oder nicht. Und die Botschaft ist: Du bist unwichtig. Du brauchst nicht dabei sein. Wir brauchen Dich hier nicht.“

Eileen Moritz ist Projektkoordinatorin bei der „Politikberatung behinderte Expert*innen“ in Berlin. Die 50jährige Sozialpädagogin ist für die politische Bildungsarbeit zuständig. Da sie einen Elektrorollstuhl nutzt, machte sie schon früh die Erfahrung, sich engagieren zu wollen, es aber wegen der räumlichen Gegebenheiten nicht zu können:

„Als ich noch jugendlich war, wollte ich mich unbedingt bei Amnesty engagieren, als ich 18 war. Und das war schier unmöglich, also ich konnte einfach nicht mitmachen. Ich konnte nicht mal zu den Treffen hingehen.“

Das Ziel der Politikberatung ist, Barrieren in allen gesellschaftlichen Bereichen abzubauen, damit Menschen mit Behinderungen besser teilhaben können.

Das Team besteht aus Fachleuten für unterschiedliche Themen und ist bewusst divers zusammengesetzt: Hier arbeiten Frauen und Männer mit unterschiedlicher sexueller Orientierung, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Um Politik mit Wissen und auch ganz praktisch beraten zu können, arbeitet die Politikberatung wissenschaftlich und bietet Fortbildungen an.

Egal, in welchen Bereichen Menschen sich politisch engagieren, bei Treffen in Büros oder Kneipen wird die Barrierefreiheit oft nicht mitgedacht. Dieses Problem kennt auch Lutz Niestrat. Er koordiniert bei der Politikberatung den wissenschaftlichen Bereich und ist Experte für Arbeitsmarktintegration.

„Ich bin in der Gewerkschaft aktiv hier in Berlin, in der GEW, und das Haus ist auch nicht barrierefrei. Und da wird auch seit Jahren diskutiert, wie man das lösen kann. Ich bin jetzt noch nicht so lange mit dabei, aber es geht ja auch nicht nur um jüngere Menschen, sondern auch um ältere Menschen, die sage ich mal auf Grund ihres Alters einfach nicht mehr so Treppen steigen können oder das schwierig finden, von A nach B zu kommen. Ich finde es auch immer sehr schade, wenn über Streik und politische Themen gesprochen werden, aber im Endeffekt nicht alle mitmachen können.“

Die Politikberatung hat gerade ein eigenes Seminarprogramm veröffentlicht. Auf dem Plan steht auch die „Politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen in der Kommune und in Volksparteien“. Dabei reicht der Abbau von Barrieren für Eileen Moritz weit über Fragen räumlicher Zugänglichkeit hinaus:

„Und das geht soweit bis hin zu leichter Sprache, Politik so aufzubereiten, dass das für Menschen mit Lernschwierigkeiten zum Beispiel wahrnehmbar und auch interessant ist.“

Zum Thema Ehrenamt und Freiwilliges Engagement hat die Politikberatung eine durchaus kritische Haltung. Inhaltlich werden Menschen mit Behinderung oft auf das Thema Behinderung eingeschränkt. Aber ihnen sollten alle Engagementfelder offen stehen. Doch es gibt noch zwei weitere Punkte, die für Eileen Moritz problematisch sind. Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen:

„Das heißt, die Gesellschaft verzichtet im politischen Sinne, im arbeitspolitischen Sinn auf die Potenziale von Menschen mit Behinderung und damit rutschen sie sozusagen ins Ehrenamt rein.“

Das Ehrenamt wird dann ein Ersatz für bezahlte Arbeit. Es wird finanziell nicht entlohnt und auch deutlich weniger anerkannt als Erwerbsarbeit. Und schließlich beobachtet Eileen Moritz,

„ … dass viele Dinge, auf die gerade Menschen mit Behinderungen rechtlichen Anspruch haben, auf Unterstützungsleistungen, ja auch aus Sparmaßnahmen-Gründen in die Ehrenamtlichkeit geschoben werden.“

Damit würden rechtliche Ansprüche von Menschen mit Behinderungen abgewertet. Die Unterstützungsleistungen sind auch nicht in gleicher Weise verlässlich, weil sie auf Freiwilligkeit beruhen. Daran schließt sich für Eileen Moritz noch eine weitere Frage an: Wie werden Menschen geschult, die sich für Menschen mit Behinderungen engagieren wollen?

„Da habe ich eben ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht. Gerade mit Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Die ganz viel daraus gezogen haben, die zum Beispiel gesagt haben: Ja, Dir geht es ja so viel schlechter als mir. Und das tut mir gut.“

Solche Haltungen sind aus ihrer Sicht ein wichtiges Thema für Fortbildungen von Ehrenamtlichen. Eileen Moritz spricht dabei von „einstellungsbedingten Barrieren“ – also der einseitigen Festlegung auf „hilfsbedürftig“ auf der einen und „Retter“ auf der anderen Seite. Sie fordert zum Umdenken und einer veränderten Haltung auf. Dann kann der Kontakt eine andere Qualität bekommen.

„Es gibt nicht die armen Menschen mit Behinderungen, für die tun wir etwas Gutes. Sondern dass es eher darum geht, eine Haltung zu entwickeln: dass man sich eben gleichberechtigt begegnet.“

Fortbildungen spielen in vielen Bereichen des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements eine wichtige Rolle. Die Politikberatung selbst bietet Fortbildungen dazu an, wie man Seminare barrierefrei und mit inklusiven Methoden gestalten kann.

„Im Grunde geht es darum zu verstehen, dass Behinderung alle Lebensbereiche betrifft und dass es zu einem Disability Mainstreaming kommt. Also das bedeutet, dass eigentlich alle, die Fortbildungen anbieten, damit rechnen, dass auch Menschen mit Behinderung daran teilnehmen wollen.“

Das fängt schon bei der Planung an. Die Politikberatung kalkuliert für ihre Seminare zum Beispiel Gebärdensprachdolmetschung als Kostenfaktor ein und organisiert sie bei Bedarf. Auch bei der Werbung für ein Seminar sollten die nötigen Informationen zum Ort und zum Ablauf genannt werden. Sind die Räume rollstuhlgerecht? Wie sind die öffentlichen Verkehrsverbindungen? Eileen Moritz kennt die zusätzliche Mühe, die entsteht, wenn diese Informationen fehlen.

„Wie schreibe ich eigentlich so, dass Menschen mit Behinderungen sich überhaupt angesprochen fühlen? Weil wie viele Texte lese ich und sehe dahinter den Aufwand, den ich habe, wenn ich mitmachen will, und lege das dann ad acta.“

Ein Piktogramm, ein kurzer Hinweis zum Ort – wichtig findet Eileen Moritz …

„ …. kleine Signale, die einfach jemanden beteiligen oder außen vor lassen. Also ich lese ja auch ganz viel, wo ich merke: okay, da bin ich nicht mitgedacht, da komme ich nicht vor.“

Vorkommen, mitgedacht sein – Barrierefreiheit kann je nach Einschränkung ganz unterschiedliche Formen und Facetten haben. Lutz Niestrat, der nur noch wenig sieht, braucht zum Beispiel Seminarunterlagen in digitaler Form. Beim Thema Barrierefreiheit kommt es aus seiner Sicht vor allem auf die Grundhaltung an:

„Barrierefreiheit ist so vielfältig. Also ich erwarte jetzt nicht von Leuten, die noch nie damit zu tun hatten, dass sie es gleich tausendprozentig gut machen. Was ich mir aber wünsche – und was ich mir auch noch mehr wünschen würde für die Zukunft – dass die Leute dann wenigstens offen sind für Anregungen und Kritik oder Verbesserungsvorschläge.“

 

Foto: Lutz Niestrat

Juli 2015