Zu Besuch bei einer Probe der „Rosa Falten“

Bei unserer Fachtagung „Cross-Over im Engagement“ trat die Seniorentheatergruppe „Die Rosa Falten“ mit dem autobiografischen Stück „Wir leben noch auf!“. Elisabeth Gregull war bei einer Probe und hat mit dem Ensemble gesprochen.

Von Elisabeth Gregull

Probe der Theatergruppe "Die Rosa Falten"Die Geschichte der Rosa Falten reicht ins Jahr 2012 zurück: Damals bot der junge Theaterpädagoge Dietmar von der Forst der Schwulenberatung Berlin seine ehrenamtliche Mitarbeit an. Bald kam die Idee auf, eine Theatergruppe ins Leben zu rufen – unterstützt auch vom Seniorentheaterprojekt „Theater der Erfahrungen“. Schritt für Schritt entstand das Theaterstück „Wir leben noch!“. Es basiert auf den Lebensgeschichten der beiden Hauptdarsteller Bolko Bartsch und Hans Matuschek. Die „Rosa Falten“ sind im Lauf der Zeit gewachsen, mehrere Männer und Frauen über 60 haben sich der Theatergruppe angeschlossen. Die Proben finden im Lebensort Vielfalt statt, einem Wohnprojekt der Schwulenberatung Berlin.

 

Foto: Elisabeth Gregull

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Schriftfassung des Audio-Beitrags

Zu Besuch bei einer Probe der „Rosa Falten“

Bei unserer Fachtagung „Cross-Over im Engagement“ trat die Seniorentheatergruppe „Die Rosa Falten“ mit dem autobiografischen Stück „Wir leben noch auf!“. Elisabeth Gregull war bei einer Probe und hat mit dem Ensemble gesprochen.

Von Elisabeth Gregull

 

Musik

Wenn die Musik angeht, verwandelt sich der kleine Raum in der Schwulenberatung Berlin in eine Theaterbühne. Auf der Bühne stehen Bolko Bartsch und Hans Matuschek – zwei schwule alte Männer.

Bolko Bartsch: „Weite Welt und breites Leben.“

Hans Matuschek: „Geborgenheit.“

Bolko Bartsch: „Auf dem Wasser ist die Zukunft.“

In dem Stück „Wir leben noch!“ erzählen sich die beiden gegenseitig aus ihrem Leben. Die Träume und Sorgen ihrer Kindheit. Wie sie erwachsen wurden. Welche Berufe sie ergriffen. Und mit welchen Widersprüchen und Hindernissen sie zu kämpfen hatten, weil sie schwul waren. Bolko Bartsch blickt mit gemischten Gefühlen auf die Zeit zurück, als das Theaterstück entstand:

„Ich würde fast behaupten, es war wie der Besuch bei einem Psychiater. Wir haben, wie gesagt, etappenweise uns an dieses Stück herangearbeitet. Ich fuhr dann nach der Probe mit dem Fahrrad nach Hause. Und rekapitulierte, was ich eben gerade versucht habe, aus meinem Leben zu erzählen. Und habe dann begonnen, zu relativieren.“

Bolko Bartsch und Hans Matuschek waren die ersten Mitglieder der Senioren-Theatergruppe „Die Rosa Falten“. Die Gruppe entstand vor rund drei Jahren. Damals bot der junge Theaterpädagoge Dietmar von der Forst der Schwulenberatung Berlin seine ehrenamtliche Mitarbeit an. Die drei Männer führten lange Gespräche, Schritt für Schritt entstand dann das Theaterstück. Dietmar von der Forst erinnert sich, dass sie sich in einem Punkt jedoch gleich einig waren:

„Ganz wichtig ist eben zu zeigen, es sind Männer wie Du und ich. Man sieht eben äußerlich nicht irgendwelche exotischen Männer. Das Klischee ist bei den Jugendlichen auch, stelle ich immer noch fest, sehr massiv. Die haben Bilder im Kopf von schwulen Männern, was einfach gerade gerückt werden muss. Und da fand ich es einfach schön, dass ich zwei gestandene Männer habe, die ihr Leben erzählen, die einen ganz normalen Job hatten, die studiert haben, die Kinder hatten, also zumindest einer – ja und eben nicht dieses Klischee erfüllen.“

„Die Rosa Falten“ sind im Laufe der Zeit gewachsen – mehrere Männer und Frauen über 60 haben sich dazugesellt. Sie spielen Mütter und Großmütter, Lehrerinnen und Arbeitgeber, Freunde und Verwandte. Die Proben finden regelmäßig im „Lebensort Vielfalt“ statt, einem Wohnprojekt der Schwulenberatung Berlin. Wenn Dietmar von der Forst neuen Interessenten vorsichtig erklärte, wie sich die Gruppe zusammensetzt und wo die Proben stattfinden, erntete er oft die gleiche Reaktion:

„Die meisten haben gesagt, die neu dazugekommen sind: Ja, das war mir klar, wir sind hier in Berlin. Wo ist das Problem?“

Die Lebensgeschichten der beiden Hauptdarsteller verlaufen sehr unterschiedlich.

Bolko Bartsch zog es in die Ferne, er wanderte nach Südamerika aus. Er entdeckt seine Homosexualität, genießt das Leben in südamerikanischen Ländern und macht Karriere. Bis ihm eines Tages ein Bekannter droht, seinen Arbeitgeber über seine Homosexualität zu informieren. Bolko Bartsch wird erpresst und ist verzweifelt. Dann entscheidet er sich für das offene Gespräch mit seinem Arbeitgeber:

Bolko Bartsch: „Ich liebe einen Mann. Ich werde erpresst.“

Arbeitgeber: „Homosexuell? Sei sind homosexuell? Sie haben Verantwortung für die Firma zu tragen. Sie arbeiten in einem internationalen Konzern. Sie haben Kundenkontakt. Soll ich meinen Kunden einen homosexuellen Mitarbeiter zumuten?“

Sein Arbeitgeber verlangt, dass Bolko Bartsch sich in psychiatrische Behandlung begibt. Nur so kann er eine fristlose Kündigung vermeiden. Weil er seine Stelle behalten will, lässt sich Bolko Bartsch darauf ein. Doch schließlich sagt sein Therapeut: ‚Sie sind nicht krank. Suchen Sie sich eine andere Arbeit.’ Schweren Herzens folgt Bolko seinem Rat. Doch es wird nicht das letzte Mal sein, dass er wegen seiner Homosexualität Probleme mit seinem Arbeitgeber bekommt. Noch heute merkt man Bolko Bartsch die Wut an, wenn er auf die damalige Reaktion seines Arbeitgebers zurückblickt:

„Ich habe eigentlich nur Probleme gehabt mit leitenden Angestellten großer Firmen, denen ich eigentlich mehr Intelligenz zugetraut hätte. Denn würde zu mir ein Angestellter mit diesem wirklich tiefschürfenden Problem kommen, dass er erpresst wird, dann würde ich ihm die Hand reichen und als Chef wäre ich sicher, dass er dann für mich durch die Hölle gehen würde.“

Die Theatergruppe ist inzwischen schon öfter mit dem Stück aufgetreten. Veronika Schulze, eine der Schauspielerinnen, erlebt die Reaktionen des Publikums durchaus positiv:

„Es ist ja biographisch von den beiden. Nichts gekünstelt. Und das berührt schon sehr. Und ein Stück sind die beiden ja auch Zeitzeugen. Weil ich kann mich gut erinnern, dass es noch den Paragraph 175 gab, das weiß ich. Und ich habe es halt so miterlebt, diese Befreiung oder die Anerkennung der Schwulen und Lesben. Und es ist aber immer noch sehr berührend zu hören, dass man in der Tat damals die Arbeit verlieren konnte oder erpressbar war.“

Das Coming Out von Hans Matuschek stand unter einem ganz anderen Vorzeichen. Er musste sich nicht seinem Arbeitgeber stellen, sondern seiner Frau.

Hans Matuschek: „Die schönste Zeit in meinem Leben, das war meine Ehe und dann die fünf Kinder dazu. Ich war wer, ich hatte eine Aufgabe, die mich erfüllte. Aber irgendwann fiel mir auf, dass mich exotische junge Männer mit abstehenden Ohren magisch anzogen. Mich, den Familienvater, der anerkannt war im Beruf und in der Pfarrgemeinde.“

Er führt eine Zeit lang ein Doppelleben, hält es dann aber nicht mehr aus und offenbart sich seiner Frau:

Hans Matuschek: „Luise, können wir weiter so zusammenleben? Die Kinder, du und ich? Wir brauchen uns doch gegenseitig und irgendwann brauchte ich mal einen Mann im Bett.“

Luise: „Einen Mann?“

Doch seine Frau verlangt von Hans Matuschek eine Entscheidung – und er entscheidet sich für seinen Freund und verlässt die Familie. Gleichzeitig plagen ihn auch Schuldgefühle. Das Theaterstück und die Proben hatten für ihn geradezu eine therapeutische Wirkung:

„Das Spielen hat mir geholfen, diese Schuldgefühle zu verarbeiten. Das ist so, als ob man jemandem immer wieder das Gleiche erzählt und dann kommt man darüber weg.“

Heute lebt Hans Matuschek in Berlin und hat regelmäßig Kontakt zu seinen Kindern, Enkeln und seiner ehemaligen Frau.

„Ja, da muss ich also meiner Frau sehr dankbar sein. Ich kenne ich kenne bestimmt zehn-zwölf Schwule, die auch Familie hatten und wo generell der Kontakt abgerissen ist.“

Nach Auftritten bekommt Hans Matuschek auch Feedback zu seinen ganz persönlichen Konflikten.

„Also es touched mich am meisten an, wenn so Leute kommen – und das war häufig: ‚Das erinnert mich so an mein schwules Coming Out, an die Widersprüche die da waren und an die schönen Seiten. Ich fühle mich da irgendwie sehr angesprochen.’“

Individuelle Geschichten und Zeitgeschichte – die Seniorentheatergruppe „Die Rosa Falten“ bringt beides auf die Bühne. Getragen wird das Stück „Wir leben noch!“ vom Mut der beiden Hauptdarsteller, ihre ganz persönlichen Erfahrungen auf die Bühne zu bringen. Mit Höhen und Tiefen, und dem Rückblick auf zwei bewegende Lebensgeschichten.

Musik

Hans Matuschek: „Ehrgeiz – und Enttäuschung.“

Bolko Bartsch: „Kampf zwischen David und Goliath!“

Hans Matuschek: „Die Liebe – welche Macht!“

 

Juni 2015