Umgang mit „schwierigen“ Beratungssituationen

Wenn es bei Beratungen in Freiwilligenagenturen zu Problemen kommt, ist schnell von „schwierigen Freiwilligen“ die Rede. Andrea Brandt von der FreiwilligenAgentur KreuzbergFriedrichshain empfiehlt dagegen, den Blick auf sich selbst als Berater_in zu richten.

Von Andrea Brandt

Andrea_Brandt beIn der Regel kommen Menschen mit der positiven Absicht in die Beratung einer Freiwilligenagentur, sich zu engagieren und dafür ein passendes Einsatzfeld zu finden. Sie suchen nach Über- und Einblicken in Handlungsfelder, in denen sie sich ausprobieren, eigene Fähigkeiten anwenden, neue Kontakte knüpfen und ihre Zeit sinnvoll gestalten können, indem sie eine gemeinnützige Organisation unterstützen oder anderen Menschen helfen.

Wenn Menschen mit so guten Motiven und Vorhaben kommen, was kann dann an Beratungssituationen schwierig sein?

Beratungssituationen sind Begegnungen, in denen unterschiedliche Menschen – Berater_in und Ratsuchende_r – mit verschiedenen Ressourcen aufeinander treffen. Sie kennen sich in der Regel nicht und wissen demzufolge nichts von den Vorstellungen und Wünschen, Fähigkeiten und Möglichkeiten ihres Gegenübers. Da gilt es, innerhalb kurzer Zeit, sich wertschätzend auf den Anderen einzulassen, Ziele zu klären, Informationen zu sammeln bzw. zu geben und zu erkennen, wen ich vor mir habe, was mir der- oder diejenige anbieten und von mir annehmen kann. Umso erfreulicher, wenn am Ende für beide Seiten ein gelungener Verständigungsprozess steht, aus dem sie ein gutes Gefühl mitnehmen: Die Beratenen haben neue Informationen und Hinweise auf interessante Einsatzfelder bekommen, die sie einen Schritt näher zum Ziel eines Engagements führen, die Berater_innen haben jemandem bei der Suche helfen und ein paar wegweisende Empfehlungen aussprechen können.

Und wenn es nicht so gut klappt?

Berater_innen, die sich dem Thema der „schwierigen“ Beratungssituationen nähern, denken erfahrungsgemäß oft zunächst an ihnen kompliziert erscheinende, ratsuchende Menschen, wie zum Beispiel psychisch belastete Personen, deren Verhalten oder Anliegen sie als „schwierig“ empfinden. Wesentlich seltener schauen sie zuerst darauf, was die Situation für sie als Berater_in schwierig macht.

Dabei kann es gewinnbringend sein, sich die Frage zu stellen: „Wodurch schätze ich eine Situation als schwierig ein, und wie kann ich Abhilfe schaffen?“ Denn dann wende ich mich meinen eigenen Handlungsmöglichkeiten zu statt darüber zu spekulieren, was mein Gegenüber an sich hat(te), das vielleicht irritierend oder widersprüchlich ist.

Natürlich können die Gründe, warum ich mit einer Beratungssituation nicht zufrieden bin, vielfältig sein: Da kommt Frau Arndt* mit einem Anliegen, das ich nicht beantworten kann, für das ich ihr kein Angebot machen kann – ich sehe es als Freiwilligenberater_in aber als meine Aufgabe bzw. Pflicht an, ihr ein passendes Einsatzfeld zu empfehlen. Oder ich treffe auf Herrn Reimer, der mir in seinem Verhalten nicht angenehm ist, weil er zu fordernd, zu dominant auftritt und keine Fragen stellt, sondern nur wortreich von sich erzählt. Oder Frau Sievers ist einsilbig, in sich gekehrt, wirkt depressiv und besteht darauf, unbedingt ein Kind betreuen zu wollen, obwohl sie mir dafür derzeit wenig geeignet scheint. Oder ein Mann ist unsicher, auf der Suche nach Kontakt, möchte erstmal für seine ganze Lebensgeschichte Gehör finden, und ist noch gar nicht zu einem Engagement entschlossen. Immer mal wieder gibt es Ratsuchende, die unklar in ihren Anliegen, ungeduldig oder unfreundlich sind.

Die Situationen Revue passieren lassen und das eigene Verhalten beobachten

Die Liste der Situationen (und Personen), die einem schwierig erscheinen können, ließe sich beliebig fortsetzen. Hinzu kommt, dass die Gründe, warum wir uns als Berater_innen mit Situationen unwohl fühlen, uns oft erst allmählich oder im Nachhinein bewusst werden. Dass sie uns verdrießen, ist uns schon während des Gesprächs klar. Weshalb – darüber nachzudenken, das braucht meist Zeit, um die Situation rückblickend in Ruhe zu analysieren.

Um für künftige Situationen daraus zu lernen, kann ich die unangenehme Situation Revue passieren lassen, und dabei eine ganze Reihe von Gesichtspunkten überprüfen:

–        Wie habe ich mich zu welchem Zeitpunkt gefühlt?

–        Ab wann fand ich die Situation unangenehm und aus welchem Grund?

–        Wie hat sich der oder die Beratene verhalten, wie ich mich?

–        Wodurch war die Atmosphäre zwischen uns geprägt?

–        Gab es Missverständnisse, aus denen Spannungen entstanden sind?

–        Habe ich mich um einen angenehmen Rahmen und eine ruhige Gesprächssituation bemüht?

–        War ich bereit, mich auf meine_n Gesprächspartner_in einzulassen und seine bzw. ihre Bedürfnisse zu erkennen?

–        Wie konnte ich ihm bzw. ihr auf Fragen antworten?

–        War ich klar in meinen Äußerungen und habe mitgeteilt, wenn mir etwas auf- oder missfiel?

Neben dem Überdenken aller Rahmenbedingungen kann es auch hilfreich sein, den eigenen Anspruch zu überprüfen:

–        Wo wollte ich mehr, als in der Situation möglich war?

–        Neige ich dazu, perfekt sein zu wollen und mich selbst zu überfordern?

–        Halte ich meine Meinung zurück?

–        „Leiste“ ich mir Authentizität?

–        Nehme ich eine neutral beobachtende Position ein? Oder identifiziere ich mich zu stark mit meinem Gegenüber, lasse ich mich von dessen Stimmungen vereinnahmen oder nehme sie sogar persönlich?

Als Herr Reimer, ehemaliger Geschäftsführer und ein großer„Macher“, mich zutextete, ich kaum dazu kam, ihn etwas zu fragen, und er dann auch noch anfing, mir zu unterstellen, ich hätte wohl eh nicht das passende Engagementangebot für ihn, warum habe ich da geschwiegen? Warum habe ich mich nicht getraut zu sagen: „Herr Reimer, es ist schön, dass Sie sich engagieren möchten. Wenn Sie mich zu Wort kommen lassen würden, könnte ich Ihnen sagen, ob bzw. welche Einsatzstellen ich mir für Sie vorstellen kann. Allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass es schwierig werden könnte, wenn Sie in eine Einrichtung kommen und erstmal allen Mitarbeitenden erklären möchten, wie sie ihre Arbeit erledigen und ihre Organisation umstrukturieren sollten.“

Stattdessen wartete ich immer genervter darauf, dass er seinen Wortschwall beendete und wieder ging, natürlich nicht ohne die ärgerliche Schlussbemerkung, er hätte sich ja gleich gedacht, dass er hier wohl nichts finden würde, was ihm weiterhelfe. Ich ärgerte mich obendrein über meine Zurückhaltung, die vergeudete Zeit und die vertane Chance, ihm zu beweisen, dass es sehr wohl eine Einsatzempfehlung für ihn gegeben hätte.

Grenzen setzen und mögliche Probleme ansprechen

Aber warum mutete ich mir das zu, und worin bestand die Schwierigkeit der Situation wirklich? Nach weiteren Überlegungen kam ich zu dem Schluss, dass ich seine Äußerungen zu persönlich genommen hatte. Es wäre gut gewesen, mir selbst zu erlauben, ihn eher zu unterbrechen und ihm meine Grenzen aufzuzeigen. Ich hätte ihn freundlich, aber bestimmt auf seine Rolle als Ratsuchenden hinweisen können, der Raum für Fragen und Gespräch lassen möge, sonst sei das Aufsuchen einer Beratung wenig sinnvoll. Ich hätte das Gespräch eher beenden können, wenn er nicht darauf eingegangen wäre. Jemandem Wertschätzung für seine Engagementbereitschaft auszudrücken, schließt ja keineswegs aus, ihm ehrlich zu sagen, wenn ich sein Verhalten als unangemessen empfinde oder gerade nicht die Möglichkeit sehe, ihm anzubieten, wonach er sucht.

Natürlich braucht jede Situation ihre eigene angemessene Intervention. Als Frau Sievers neulich überhaupt nicht davon abrücken wollte, dass sie sich unbedingt in einer Kinderpatenschaft engagieren möchte, obwohl sie selbst gerade ein Kind verloren hatte, habe ich es ganz gut geschafft, sie zum Überdenken ihres Entschlusses zu bewegen: Ich fragte sie, ob sie es nicht für besser hielte, wenn sie zunächst eine Selbsthilfegruppe aufsuche und dort ihre Situation mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, bespräche. Dann könne sie nochmal in Ruhe erwägen, ob eine Kinderpatenschaft zu ihr passe, da hinge ja immerhin auch einige Verantwortung und regelmäßige Verpflichtungen dran. Erst empfand sie es fast als Einmischung von mir, aber da ich sie vorsichtig nach ihrer Meinung gefragt hatte, statt ihr meine kundzutun, erkannte sie dann selbst, dass es ihr gut täte, sich mit dieser Art von Engagement noch Zeit zu lassen. Am Ende wirkte sie sogar erleichtert, weil sie der Gedanke an ein erwartungsvolles Kind, dem sie etwas anbieten müsste, auch etwas erschreckt hatte.

Damit Begegnungen gelingen

Das macht eben eine gelungene Begegnung – auch in einer als „schwierig“ empfundenen Situation – aus: Sich für die Zeit der Beratung auf den Anderen einlassen können, aber dennoch den Abstand zu seinen Stimmungen wahren. Wer unfreundlich ist, hadert ja meist nicht mit uns als Person, sondern mit seiner Unzufriedenheit über die eigene Lebenssituation. Da hilft es, Raum für Fragen einräumen, statt zu meinen, man müsse immer Antworten parat haben. Wichtiger finde ich, mit ernst gemeinten Interesse-Fragen dem Anderen Raum zu geben und damit Wertschätzung zu zeigen. Außerdem finden Menschen gerne die Antworten selbst und dann passen sie in der Regel auch für sie – statt für uns. Meist lässt sich in solchen Dialogen eine Intervention finden, mit der sich beide Seiten wohl fühlen. Auch wenn es am Ende „nur“ ein gutes Gespräch war und jemand kein Engagementangebot mitnimmt. Vielleicht erhält er bzw. sie andere wichtige Hinweise oder gewinnt eine neue Erkenntnis für sich – auch ein Erfolg.

Herrn Reimer habe ich im Nachhinein noch eine Mail geschrieben und ihm in netten Worten mitgeteilt, wie ich unser Gespräch und sein Auftreten empfand. Dann habe ich ihm empfohlen, mal darüber nachzudenken, welches Hilfeverständnis er habe. Ich habe hinzugefügt, wie eng aus meiner Sicht Hilfe und Überhelfen beieinanderlägen. Und wie wichtig es für die Würde eines Menschen sei, nicht von anderen als Hilfebedürftige_r unselbständig gemacht zu werden in Situationen, in denen er bzw. sie sich gut selbst helfen könne, damit die anderen ihre Helfensbedürftigkeit befriedigen könnten. Tatsächlich hat er sich für meine ehrlichen Worte bedankt und wollte einen neuen Beratungstermin, um unser Gespräch in anderer Form fortzusetzen.

Seit ich in Beratungen mehr darauf schaue, dass ich vor allem authentisch auf mein Gegenüber eingehe und so gut für mich sorge, finde ich mehr Wege zu erfolgreichen Interventionen und ernte öfter dankbare und reibungslose Gesprächssituationen.

*Alle Namen wurden geändert

 

Foto: Landesfreiwilligenagentur Berlin / Andrea Brandt bei der Werkstatt „Umgang mit schwierigen Beratungssituationen“ innerhalb der „Qualifizierungsoffensive für Freiwilligenagenturen in Berlin“

August 2014

 

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