Die Geschichte der „Rosa Falten“

Das Theaterstück „Wir leben noch!“ erzählt die Lebensgeschichten von zwei alten schwulen Männern. Theaterpädagoge Dietmar von der Forst berichtet, wie die Gruppe „Die Rosa Falten“ und das Stück entstanden sind.

Von Dietmar von der Forst

Theatergruppe Die Rosa FaltenVor drei Jahren bin ich mit einer ehrenamtlichen Idee an die Schwulenberatung Berlin herangetreten. Ich hatte das Wohnprojekt „Lebensort Vielfalt“ in der Zeitung verfolgt. Meine Idee war: wenn so viele fremde Leute unter einem Dach zusammenkommen, könnte eine theaterpädagogische Unterstützung nützlich sein, damit sich die Leute kennenlernen.

Ich hatte ein bisschen Zeit und Lust Kontakt zu knüpfen, aber ohne Hintergedanken. Ich habe mich einfach angeboten, im „Lebensort Vielfalt“ ehrenamtlich mitzuarbeiten. Irgendwann kam im Gespräch die Frage auf, magst Du nicht „irgendetwas mit Theater“ machen oder eine feste Gruppe leiten?

Durch meine Kontakte zum „Theater der Erfahrungen“ habe ich eine Finanzierung bekommen. Das „Theater der Erfahrungen“ war begeistert davon, eine „andere“ Seniorengruppe zu haben mit dem Schwerpunkt schwul-lesbisch-heterosexuell – also vielfältig einfach. Das passte aus ihrer Sicht gut in den „Pool“ an Theatergruppen.

Das Stück „Wir leben noch!“ entsteht

Am Anfang lief alles sehr schleppend, Interessierte kamen und gingen. Hans und Bolko, die Hauptdarsteller von „Wir leben noch!“, sind eigentlich die ersten, die kamen und die auch geblieben sind. Mit ihnen habe ich angefangen und zu dritt haben wir überlegt, was wir machen können. So entstand die Idee, zwei Lebensläufe vorzustellen.

Wir hatten viel Zeit uns zu unterhalten, ich habe die beiden gut kennengelernt. Wir haben einfach losgelegt und zum Glück kamen dann immer mehr Interessierte dazu, bis wir sechs Personen waren. So hat sich das Stück peu à peu entwickelt bis zur heutigen Fassung mit verschiedenen Nebenrollen.

Wir möchten mit „Wir leben noch!“ zeigen, wie schwule Männer in einer Zeit aufgewachsen sind, als Homosexualität strafrechtlich verfolgt wurde. Was die Männer damals mitmachen mussten, um ihr Leben zu leben. Und man kann sehen, dass es nicht immer so gradlinig war, wie die Schwierigkeiten waren.

Ganz wichtig ist uns zu zeigen: es sind Männer wie du und ich, man sieht eben äußerlich nicht irgendwelche exotischen Männer. Das Klischee ist, auch bei Jugendlichen, leider immer noch sehr massiv. Sie haben Bilder im Kopf von schwulen Männern, die einfach geradegerückt werden müssen.

In „Wir leben noch!“ erzählen zwei gestandene Männer ihr Leben: sie hatten einen ganz normalen Job, haben studiert, einer hatte auch Kinder. Sie erfüllen eben nicht dieses Klischee. Und das war uns dreien wirklich wichtig zu zeigen: wir sind Männer, die ihr Leben leben, aber einfach nur eine andere Sexualität haben. Das sehen wir als unseren Auftrag.

Die Theatergruppe wächst und wird inklusiver

Wenn sich neue Interessierte gemeldet haben, habe ich angekündigt, wo wir proben, nämlich bei der Schwulenberatung Berlin. Die meisten haben gesagt: Ja, das war mir klar, wir sind hier in Berlin, wo ist das Problem? Alle Frauen, die jetzt dabei sind, finden das vollkommen normal.

Es war mir auch von Anfang an wichtig, dass wir eine gemischte Gruppe sind, also nicht eine rein schwule Gruppe, sondern offen sind für alle, die kommen wollen, egal wie es sich zusammensetzt. Jede_r ist willkommen.

Nachdem ich im Lebensort Vielfalt die Einrichtung der Pflege-WG beobachten konnte, kam die Idee auf die Theatergruppe auch inklusiv anzubieten. Menschen im Rollstuhl oder mit Demenzerscheinungen können unsere Gruppe ebenso bereichern mit ihren Lebenserfahrungen.

Eine solche Erweiterung bedeutete jedoch eine neue Herausforderung für die schon bestehende Gruppe. Von Vorteil für diese Veränderung war die kontinuierliche Arbeit mit denselben Teilnehmer_innen. Die Gruppe hatte sich inzwischen gefestigt und auch bewiesen, neue Teilnehmer_innen immer gut integrieren zu können.

So auch in diesem Fall. Die Hürden wurden von allen getragen. Ob im Rollstuhl oder demenzkrank, alle haben im eigenen Tempo mitgearbeitet und die aufkommenden Hürden wurden gesehen, benannt und überwunden.

Es klingt so einfach und es wäre schön, wenn es überall in der Gesellschaft so einfach ginge. Hier gilt mein Dank den Teilnehmer_innen, die sich immer auf Neuerungen eingelassen haben, egal welcher Art. Die Gruppe ist mit den Herausforderungen stets gewachsen.

Feedback von Zuschauer_innen

Welche Resonanz die Gruppe und das Stück erfahren, zeigen exemplarisch einige Einträge aus dem Gästebuch zur Premiere im Jahr 2012:

„Die Aufführung der beiden Lebensläufe war beeindruckend – das Publikum hing an den Lippen der beiden Protagonisten. An einer Stelle war die Betroffenheit von Bolko so authentisch, dass den Zuschauern der Atem stockte! – Danke für die Performance!“

„Sehr berührend die beiden Lebensgeschichten und mit wenigen Mitteln gut in Szene gesetzt. Ich habe mich keine Minute gelangweilt.“

„Es war ein schöner Abend – sehr eindrucksvoll!“

„Ein Abend mit interessantem Einblick.“

„Das Theaterstück wurde in sehr einfühlsamer und aufschlussreicher Weise aufgeführt. Es wurde mit wenigen Mitteln einfallsreich inszeniert. Ein großes Lob an alle Mitwirkenden und Beteiligten. Es hat mir gefallen. Weiter so!“

„Die Spielfreude der Darsteller in nicht nur sichtbar, sondern in den Gänsehautmomenten spürbar.“

„Man sagt nicht nur, dass die Bühne ‚die Bretter sind, die die Welt bedeuten’, sondern auch, dass das Theater nur dann gut ist, wenn es den Menschen etwas über das Leben erzählen kann. Selbst die größten Bühnen und besten Schauspieler werden sich schwer tun in dieser Hinsicht mit den „Rosa Falten“ mitzuhalten. Nur wer etwas erlebt hat, kann so glaubwürdig und überzeugend spielen. Vielen Dank für eine eindrucksvolle Stunde!“

 

April 2015