„Hürden sind dazu da, um darüber zu springen!“

Dorit Heidemanns engagiert sich bei den „Hürdenspringern+“, einem Mentoringprojekt für Jugendliche aus Nord-Neukölln. Den Programmtitel nimmt sie wörtlich und möchte ihre positive und pragmatische Einstellung zum Leben weitergeben.

Von Julia Lehmann

Dorit Heidemanns und NaomiAls ich mich mit Dorit Heidemanns in Moabit treffe, kommt die gertenschlanke Potsdamerin mit dem Fahrrad. Wir sitzen in einem trendigen Bücher-Café, umgeben von Kaffeeduft und Babygeschrei. Sie beginnt sofort zu erzählen und schon nach wenigen Minuten ist klar, dass sich Dorit Heidemanns gerne und mit ganzem Einsatz für die „Hürdenspringer+“ engagiert.

Dass die alleinerziehende Mutter zweier Kinder bei dem Neuköllner Mentoring-Projekt des UNIONHILFSWERKS gelandet ist, hat sie zunächst einem Zufall zu verdanken. 2012 erhält sie ein Probeabo von der Berliner Morgenpost, in der damals regelmäßig Ehrenamtliche vorgestellt werden. Dorit Heidemanns verfolgt die Serie fast sechs Wochen, bis schließlich eine Frau portraitiert wird, die sich bei den „Hürdenspringern+“ als Nachhilfelehrerin engagiert. Dorit Heidemanns googelt die Organisation und ist sofort begeistert. Als Mentorin kann sie sich dort für mindestens Jahr um eine_n sozial benachteiligte_n Jugendliche_n kümmern und auf dem Weg von der Schule ins Berufsleben begleiten. Dass sie sich nach der Lektüre sofort bei der Projektleitung meldet, ist typisch für Dorit Heidemanns. Die freiberufliche Beraterin und Journalistin zögert generell nicht lange, wenn ihr etwas gefällt und bei den „Hürdenspringern+“ fühlt sie sich von Anfang an wohl: „Die kümmern sich sehr um einen und arbeiten sehr professionell“, erzählt sie mir. Deshalb müssen sie und die anderen Mentor_innen auch eine mehrwöchige Qualifizierung durchlaufen, bevor sie mit dem Mentoring anfangen können.

Gutes Mentoring will gelernt sein

Beim Ausbildungsprogramm der „Hürdenspringer+“ gehören neben Modulen zum richtigen Umgang mit Jugendlichen und deren Schulalltag auch interkulturelle Kompetenzen zu den Schlüsselthemen. Dorit Heidemanns durchläuft die Ausbildung und kann einiges mitnehmen: „Wir sind ja in verschiedenen Kulturen unterwegs. Und da stellt sich schonmal die Frage, darf ich den jetzt umarmen? Oder wieviel dürfen wir helfen?“ Eine Supervisorin hilft ihnen, mit diesen Fragen auch während des laufenden Projekts umzugehen.

Auch die Mentees absolvieren eine Qualifizierungsphase und verpflichten sich wie die Mentor_innen mindestens ein Jahr an dem Projekt teilzunehmen. „Diese intensive Betreuung ist das Besondere an dem Projekt“, betont Dorit Heidemanns. „Die Mentees haben jemanden ganz für sich allein und das finden sie auch klasse“, erzählt sie. Auch sie selbst ist von der intensiven Betreuung überzeugt. „Es ist jetzt nicht so, dass man nach einem Jahr sagt ‘Und jetzt tschüss!’. Wenn die Mentees noch Bedarf haben, kümmere sich das Projekt darum, dass das Tandem weiterhin bestehe oder die Mentees neu „versorgt“ werden.

Das erste Treffen

Sie selbst kümmert sich nun schon seit über einem Jahr um ihre Mentee Naomi, deren Eltern aus Polen nach Deutschland eingewandert sind. Nachdem beide die Qualifizierung durchlaufen hatten, wurden sie wie die anderen Mentor_innen und Mentees beim Matching-Event einander vorgestellt. Naomi ging damals in die 9. Klasse einer Berliner Sekundarschule und wusste nicht so recht, was sie nach der Schule anfangen sollte. Mittlerweile hat sich ihr Notendurchschnitt um eine Note verbessert und sie hat angefangen, Pläne für ihre Zukunft zu schmieden.

Bis es soweit war, musste Dorit Heidemanns allerdings einige Überzeugungsarbeit leisten, wie sie zugibt. „Da gab es zum Beispiel mal einen Fall, wo mich Naomi eine dreiviertel Stunde hat warten lassen, obwohl wir verabredet waren“, erzählt sich mir. „Sowas macht mich stinksauer und das habe ich ihr auch gesagt.“ Hinterher war dann aber alles wieder gut. „Den Mentees ist manchmal gar nicht klar, dass wir bereit sind, uns freiwillig und unentgeltlich um sie zu kümmern“, stellt sie fest. „Das muss man ihnen manchmal erst begreiflich machen.“ Sie selbst fährt dafür extra eine Stunde aus Potsdam nach Berlin. Dorit Heidemanns betont jedoch, dass sie dafür keine Dankbarkeit erwartet: „Die Mentees sollen das nicht würdigen, aber im Hinterkopf behalten, wenn wir beispielsweise Verabredungen getroffen haben und diese dann auch ernst nehmen.“

Von Anfangsschwierigkeiten zum Dreamteam

Die anfänglichen Schwierigkeiten haben sich mittlerweile erledigt. „Wir sind ein richtiges Dreamteam geworden“, erzählt mir Dorit Heidemanns stolz. Dass die beiden am Ball geblieben sind, hat auch mit Dorit Heidemanns Hartnäckigkeit zu tun. „Wenn ich mich einmal auf etwas einlasse, dann ist es für mich auch gut“, hält sie mit Nachdruck fest. So kommt es, dass sich Dorit Heidemanns und Naomi seit über einem Jahr einmal die Woche treffen und dabei über alles sprechen, was Naomi gerade beschäftigt. „Am Anfang waren es typische Fragen nach Familie, Berufswünschen und Interessen“, erzählt Dorit Heidemanns. „Mittlerweile reden wir aber auch über private Sachen. Wir haben ein richtiges Vertrauensverhältnis aufgebaut!“ Das habe auch viel damit zu tun, dass sie Naomi ernst nehme und mit ihr über alles offen rede, betont sie.

Auch in Naomis Familie ist Dorit Heidemanns mittlerweile „voll integriert“. „Wenn eine Nachricht von WhatsApp kommt, fragt die Mutter gleich ‘Ist die von Dorit?“. Auch die Eltern hat Dorit Heidemanns zum ersten Mal beim Matching-Event kennengelernt. „Da saß dann der Vater und hat mich angeguckt so nach dem Motto: wer ist das jetzt eigentlich?“, erzählt sie. Mittlerweile ist sie fester Bestandteil der Familie und achtet auch auf deren Meinung, wenn sie mit Naomi über ihre Zukunft spricht.

Schritt für Schritt

Dorit Heidemanns unterstützt Naomi, wo sie nur kann und „schubst sie auch, wenn nötig“. Mit ihrem Engagement geht Dorit Heidemanns dabei manchmal weiter als andere Mentor_innen. „Manche von ihnen würden zum Beispiel nicht die Texte ihrer Mentees auf Rechtschreibfehler korrigieren“, erzählt sie mir, weil man dann die Leistung der Mentees verfälsche. Dorit Heidemanns sieht das anders: „Ich kenne eine Frau, die hat noch bis zur 10. Klasse die Arbeiten ihres Sohnes korrigiert. Es ist einfach so, dass unsere Mentees mit Schülern konkurrieren, die noch bis zum Abi Nachhilfe von ihren Eltern bekommen. Unsere Mentees bekommen das nicht.“ Dorit Heidemanns findet das ungerecht und hat daher auch keine Probleme damit, Naomi bei Aufsätzen oder bei der Formulierung von Bewerbungen zu helfen. „Ich nehme sie dabei auch mit“, betont sie. „Es ist jetzt nicht so, dass ich das alles für sie vorformuliere. Wir gehen das Schritt für Schritt gemeinsam durch.“ Naomi steht mittlerweile kurz vor ihrer Abschlussprüfung und macht sich Gedanken über ihre berufliche Zukunft. Dorit Heidemanns selbst wünscht sich für Naomi, dass sie einen Beruf findet, „der ihr wirklich Spaß macht und in dem sie aufblühen kann“.

Dorit Heidemanns nimmt den Titel des Mentoring-Programms wörtlich. „Hürden sind dazu da, um drüber zu springen“, erklärt sie mir mit Nachdruck. Diese pragmatische Lebenseinstellung möchte sie auch an Naomi weitergeben: „Als sie mir gesagt hat, dass sie schlecht in Chemie ist, habe ich ihr gesagt: ‘Pass mal auf, du meldest dich jetzt einmal die Stunde, wenn dir etwas Cleveres einfällt und fragst deine Lehrerin, was du genau tun musst, um besser werden. Du musst ihr klar machen, dass du Interesse daran hast, deine Noten zu verbessern.’“

„Mit den Mentees zusammenzuarbeiten, ist absolut bereichernd“

Mit ihrer herzlichen und direkten Art hat Dorit Heidemanns einen guten Draht zu Naomi gefunden. Dorit Heidemanns ist sich bewusst, dass sie nicht dieselbe Lebenswelt teilt wie Naomi. Sie möchte ihre privilegierte Stellung in der Gesellschaft und ihre eigene Lebenserfahrung aber nutzen, um ihr beim Einstieg ins Berufsleben zu helfen. „Unsere Mentees werden von der Gesellschaft absolut im Stich gelassen“, empört sie sich. Sie findet das ungerecht und möchte mit ihrem Engagement einen Beitrag dazu leisten, dass Jugendliche wie Naomi „ihre Potenziale erkennen und entfalten können“. Dieser „soziale Impetus“ ist aber nicht der einzige Grund, warum sie sich für ein Engagement bei den „Hürdenspringern+“ entschieden hat. An dem Neuköllner Projekt gefällt ihr auch, dass sie dort mit verschiedenen Migrationsgeschichten zu tun hat. „Ich hätte auch in Marzahn oder Hellersdorf arbeiten können“, sagt sie. „Mich interessiert aber das kulturell Andere. Ich habe meine Überzeugungen, die ich nicht aufgeben würde, aber mich mit anderen und mir fremden Sichtweisen auseinanderzusetzen, finde ich spannend und absolut bereichernd“, fügt sie hinzu.

Für Dorit Heidemanns ist das Mentoring dabei ein „Geben und Nehmen“. Es macht sie glücklich, dass Naomi ihren Notendurchschnitt durch das Projekt verbessern konnte. Noch mehr freut es sie aber, dass Naomi von sich selbst sagt, dass sie „durch das Mentoring gelernt hat, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen“. Sie kann sich sehr gut vorstellen, nach Naomi eine_n weitere_n Mentee zu übernehmen.

 

Foto: Dorit Heidemanns

April 2014

 

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