Männer als Paten

Das Berliner Projekt „biffy“ vermittelt erwachsene Freiwillige in Patenschaften mit Kindern. Rund die Hälfte der Freiwilligen sind Männer und Paten für Jungen. Carsten Filor, seit sechs Jahren Pate, und die biffy-Gründerin Andrea Brandt im Gespräch.

Von Elisabeth Gregull

Pate und Patensohn beim Angeln„Big friends for youngsters“ – unter diesem Motto sucht „biffy“  Pat_innen, die einmal in der Woche mit Kindern Freizeit verbringen. Seit 2001 hat der Verein rund 800 Patenschaften zwischen freiwilligen Erwachsenen und Kindern vermittelt. Rund die Hälfte der zurzeit aktiven Pat_innen sind Männer. Vor kurzem hat biffy eine Tagung zum Thema „Männer als Paten“ durchgeführt. Dabei ging es um Geschlechterrollen in der Fürsorge für Kinder und die vielschichtige Rolle von Männern als Paten. Carsten Filor, seit sechs Jahren Pate für einen Jungen, und die biffy-Gründerin und -Koordinatorin Andrea Brandt im Gespräch.

 

 

Foto: biffy

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Schriftfassung des Audiobeitrags

Männer als Paten

Das Berliner Projekt biffy vermittelt erwachsene Freiwillige in Patenschaften mit Kindern. Rund die Hälfte der Freiwilligen sind Männer und Paten für Jungen. Carsten Filor, seit sechs Jahren Pate, und die biffy-Koordinatorin Andrea Brandt im Gespräch.

Von Elisabeth Gregull

„Also wir sind immer schon ein männerstarkes Projekt gewesen. Weil es vor allen Dingen viel Alleinerziehende gibt, die sich an uns wenden, weil sie Jungs haben oder einen Jungen. Und feststellen, dass wenn eine männliche Bezugsperson nicht präsent ist, dem Jungen etwas fehlt und sie das nicht beantworten können.“

Andrea Brandt ist Koordinatorin bei „big friends for youngsters“, kurz biffy. Der Berliner Verein vermittelt freiwillige Erwachsene in Patenschaften mit Kindern. Für mindestens ein Jahr treffen sich die Erwachsenen einmal in der Woche mit ihrem Patenkind, um gemeinsam Freizeit zu verbringen. Die Familien der Kinder haben häufig nur ein kleines soziales Netz, es gibt viele alleinerziehende Mütter. Sie wünschen sich Entlastung und eine weitere Bezugsperson für ihr Kind. Von den aktuell 240 Patenschaften sind gut die Hälfte zwischen Männern und Jungen. Seit einigen Jahren sucht biffy ganz gezielt Männer als Paten.

„Und es ist auch ein ganz großer Bedarf da, es sind mehr Jungs im Programm als Mädchen. Auch in den Pools warten noch mehr Jungs auf eine männliche Bezugsperson, und deswegen war der Gedanke, das speziell als einen Schwerpunkt zu nehmen und zu erproben, wie wir noch stärker Männer gewinnen können.“

Einer, der über diese gezielte Ansprache schon vor sechs Jahren ins Projekt kam, ist Carsten Filor. Er hatte seinerzeit keine eigene Familie, wollte aber gern einen verbindlichen und langfristigen Kontakt mit einem Kind haben. Darüber sprach er mit seinem Freundeskreis.

„Und irgendwann kam eine Freundin von mir mit einem Flyer von biffy und sagte: ‚Du, die suchen Männer. Wär das nicht was?’ Und dann hatte ich hier angerufen und wir hatten ein Gespräch und dann fing das an.“

Nach einem ausführlichem Erstgespräch, einem Workshop und einer Kennerlernphase begann damals für Carsten Filor die Patenschaft für einen neunjährigen Jungen. Am Anfang standen Bolzplätze und Fußballspielen auf dem gemeinsamen Freizeitprogramm. Mittlerweile geht der inzwischen 15-jährige Patensohn gern ins Kino oder die beiden gehen einfach spazieren und ein Eis essen. Wenn Carsten Filor auf die sechs Jahre zurückblickt, dann hat sich die Beziehung verändert. Sein Patensohn ist vom Kind zum Jugendlichen geworden und damit hat sich auch Carsten Filors eigene Rolle als Pate verändert:

„Ein Bild von dieser Patenschaft kann ich so gar nicht geben, weil es so viele verschiedene Zeiten waren. Weil vor sechs Jahren war unser Kontakt und damit auch die Patenschaft anders als sie es jetzt ist. Aus heutiger Sicht – wir sind eher Freunde. Da ist mehr Augenhöhe entstanden. Ich bin eine Vertrauensperson für ihn. Und er ist ein ganz klarer und wichtiger Faktor in meinem Leben.“

Seit 2001 hat biffy rund 800 Patenschaften vermittelt. Es gibt viele langjährige Patenschaften wie die von Carsten Filor. Dazu gehört, wie in anderen Beziehungen auch, Konflikte durchzustehen. Als einmal aus einer Kleinigkeit eine heftige Auseinandersetzung entstand, haben die beiden sich gestritten – und sich von einer neuen Seite kennengelernt:

„Und danach ging die Patenschaft auf einer ganz anderen Stufe weiter. Es war nochmal viel mehr Sicherheit da danach, das habe ich gespürt. Er war sich klar, okay, er kann mir Sachen an den Kopf schmeißen, ich kann ihn stoppen und sagen: ‚Du, das fand ich nicht gut.‘ Und wir können beide irritiert sein und dann geht es aber weiter.“

Aber nicht nur eine gute Beziehung zum Kind, sondern auch die offene Kommunikation mit den Familien, häufig eben Müttern, ist wichtig für das Gelingen einer Patenschaft. Carsten Filor weiß aus eigener Erfahrung, aber auch aus Berichten von anderen Männern, dass gerade zu Beginn einer Patenschaft leicht eine Konkurrenzsituation entstehen kann. Auf der einen Seite ist die Mutter, die den Alltagsstress zu bewältigen hat und das Kind an seine Pflichten erinnern muss. Auf der anderen Seite ist der Pate, der tolle Sachen mit dem Kind unternimmt. Da kann leicht eine Schieflage entstehen, wenn die Erwachsenen nicht miteinander sprechen.

„Und das war aber in meinem Fall total gut, weil die Mutter ganz offen mit mir umgegangen ist. Und ich auch nochmal klarstellen konnte: wunderbar, ich weiß das, und mein Bedürfnis ist es auch gar nicht, mich als den tollen Held hier zu präsentieren, das will ich gar nicht sein. Sondern ich möchte eher auf eine Eins-zu-Eins-Schiene kommen und eine Bezugsperson werden für meinen Patensohn.“

An den Fragen von Außenstehenden kann Carsten Filor ablesen, dass viele es ungewöhnlich finden, dass er sich als Mann in einer Patenschaft mit einem Kind befindet:

„Das, was mir häufig begegnet, ist dass ich automatisch gelesen werde als „der Vater“ von meinem Patensohn. Und das finde ich total interessant, weil es oft eine Irritation ist, wenn ich dann klarstelle: Ich bin nicht Vater und Sohn, sondern wir sind in einer Patenschaft. Und da begegnet mir oft erstmal nicht etwas Befremdliches, aber doch eine Irritation. Weil die wenigsten Leute, so erlebe ich es dann, ein Bild davon haben, dass ein Mann eine Patenschaft mit einem Kind eingeht, die nicht familiär ist.“

Die Männer, die sich bei biffy engagieren, sehen ihre Rolle als Pate ganz unterschiedlich. Der eine möchte auf keinen Fall ein Ersatzvater sein, der andere wäre eher stolz, wenn er in eine solche Rolle reinwächst. Es gibt alleinstehende jüngere Paten oder auch ältere Männer, die noch keine eigenen Enkel haben. Von den 120 männlichen Paten sind rund ein Drittel homosexuell. Für sie ist es wichtig, dass sie von den Familien so angenommen werden, wie sie sind, meint die biffy-Koordinatorin Andrea Brandt. Damit gibt es im Projekt weitgehend positive Erfahrungen:

„Wir haben vor allen Dingen viele Männer, weil wir auch homosexuelle Männer miteinbeziehen, das heißt, die fühlen sich an bestimmten Stellen ohnehin schon stigmatisiert gesellschaftlich. Und da war immer die Frage und auch ein wichtiger Aspekt, wie wird dort mit mir umgegangen? Und das haben sie als sehr offen erlebt und wertschätzend.“

Carsten Filor ist inzwischen neben seiner Patenschaft auch Koordinator bei biffy und berät Interessierte – sowohl die Freiwilligen, als auch die Familien. Wenn es in der Beratung um das Thema „Männer als Paten“ geht, erlebt er immer wieder Vorbehalte und Ängste.

„Ich kenne es eher aus den Gesprächen mit den Familien, dass gerade dann auch die Mütter mich fragen: was haben wir eigentlich für Regularien oder welche Formalitäten haben die Patinnen und Paten zu erfüllen? Wie da der Ablauf ist, wie gucken wir auf die Patinnen und Paten? Und da erlebe ich häufiger eine Unsicherheit, auf die ich klar eingehen muss.“

Biffy hat dafür ein mehrstufiges Verfahren. Es gibt ein ausführliches Erstgespräch mit interessierten Männern und Frauen gleichermaßen. In diesem sehr persönlichen Gespräch geht es um die Motivation für die Patenschaft und die eigene Person. Alle müssen ein erweitertes Führungszeugnis abgeben. Dann findet noch ein vierstündiger Workshop statt, in dem das Projektteam sehr darauf achtet, wie die Interessierten mit Grenzen umgehen, sie setzen und akzeptieren. Andrea Brandt betont, dass die Familien aber dennoch in der Verantwortung bleiben:

„Von Müttern ist es natürlich immer eine Befürchtung, ist mein Kind sicher, wenn ich das jetzt jemandem Fremden anvertraue? Deswegen geben wir denen immer nochmal auf den Weg, dass sie bei den ersten Treffen dabei sind und das erst ändern, wenn sie selbst ein gutes Gefühl haben, beide miteinander losgehen zu lassen. Dann ist auch wichtig, dass sie weiter diejenigen sind, die die Sorgepflicht haben und nicht wir, also dass die das nicht abtreten können und dass es wichtig ist, hinzuschauen.“

Andrea Brandt kann die Sorgen und Ängste der Familien verstehen. Doch sie findet es auch schwierig, dass Männern oft pauschal eine unlautere Absicht unterstellt wird, wenn sie sich Kontakt mit einem Kind wünschen. Mit diesen negativen Bildern haben auch die Männer zu kämpfen, die sich an biffy wenden.

„Manche haben schon erhebliche Ängste, komisch angeguckt zu werden. Oder vorverdächtigt, weil sie sich für den Umgang mit einem Kind interessieren. Und das finde ich, ist auch ein Balanceakt von unserer Seite, immer zu schauen, dass da alle Bedürfnisse und alle Befürchtungen berücksichtigt sind. Weil es natürlich schwierig ist, wenn die Gesellschaft zum Teil in pauschalen Vorverurteilungen ist: warum interessieren sich denn Männer dafür, mit einem fremden Kind umzugehen? Das hat bei manchen schon so einen Tenor: das muss schon per se komisch sein.“

Vor sechs Jahren brachte die Patenschaft Carsten Filor in ganz neue Situationen, an die er sich erstmal gewöhnen musste und in denen er auch mit diesen Bildern zu tun hatte.

„Aber es gab in meinem Kopf natürlich die Filme am Anfang. Am Anfang, als wir die Patenschaft gestartet haben, war ich ganz unsicher in dem, wie auch die Mutter mich erlebt, mit ihrem Sohn. Gerade auch so Sachen, wenn er ankam und auf meinen Schoß gesprungen ist oder so was. Wie gehe ich damit um? Das war auch neu für mich, das kannte ich so vorher gar nicht.“

Die Unsicherheiten des Anfangs haben sich gelegt. Und der Kontakt mit einer Familie ist natürlich für alle, auch für weibliche Patinnen, mit Unsicherheiten verbunden. Deswegen begleitet biffy die Freiwilligen mit Workshops und bietet auch Vermittlung bei Konflikten oder Problemen an.

Vor kurzem hat biffy eine Tagung zum Thema „Männer als Paten“ durchgeführt. Es ging um Geschlechterrollen in der Fürsorge für Kinder und die vielschichtige Rolle von Männern als Paten. Im Vorfeld wurden einige Jungen speziell dazu befragt, wie sie ihre männlichen Paten sehen.

„Also die Kinder wurden Verschiedenes gefragt, zum Beispiel, ob es wichtig ist, dass der Pate ein Mann ist. Und da haben verschiedene Kinder darauf geantwortet, dass es für sie eben sehr wichtig ist. Weil zum Beispiel ihre Mutter keinen Sport mag und sie dann einen Paten haben, mit dem sie Sport machen können. Oder weil Männer Männer besser verstehen würden, und weil sie sich dann auch besser verstanden fühlen.“

Auch wenn positive männliche Bezugspersonen aus seiner Sicht für die Jungen wichtig sind, warnt Carsten Filor davor, nicht wieder in Klischees zu verfallen. Ihn beschäftigt auch, …

„… wie tief diese Rollenbilder sitzen auf beiden Seiten, und wie einengend die einfach auch sind für beide Seiten. Wir hatten kurz dieses Beispiel, ‚ich wünsche mir einen Mann, weil meine Mutter keinen Sport macht‘. Das heißt ja nicht, wenn die Mutter keinen Sport mag, dass nur ein Mann Sport mag, sondern es könnte genauso gut eine Patin sein, die total sportlich ist oder ein Pate, der total unsportlich ist.“

Die Tagung hat Andrea Brandt in ihrer Haltung bestärkt, dass für eine neue und ausgewogenere Rollenverteilung in der Fürsorge für Kinder alle umdenken müssen.

„Für mich war es eine wichtige Erkenntnis, dass es den Auftrag gibt an die gesamte Gesellschaft, nochmal die Rollenklischees zu überdenken. Ich glaube, dass das häufig schon an der Vorabzuordnung liegt, dass wir an bestimmten Punkten merkwürdig draufschauen. Also es sollte aus meiner Sicht genauso selbstverständlich für Männer wie für Frauen sein, sich um Kinder zu kümmern.“

In den Familien der biffy-Patenkinder fehlen häufig die Männer oder sind kaum präsent. Die Fürsorge liegt ganz bei den alleinerziehenden Müttern. Carsten Filor haben die Diskussionen auf der Tagung gezeigt, dass gerade deswegen ein langfristiges und verlässliches Engagement von freiwilligen Männern ein wichtiger Gegenpol sein kann:

„Und ich habe auch mitgenommen, diese Idee, wie wichtig diese Patenschaften von uns Männern eben auch sind, um gerade – meistens sind es eben Patenschaften mit Jungs – da auch nochmal ein anderes Männerbild mitzugeben. Weil die erleben einfach einen fürsorglichen Mann.“

 

August 2014