„Dass ich in diesem Jahr in Uniform beim Christopher Street Day mitlaufen konnte, war ein kleiner Erfolg“

Marco Klingberg

 

Marco Klingberg ist stellvertretender Bundesvorsitzender im Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter e.V. (VELSPOL) und Vorsitzender des Landesverbandes Berlin-Brandenburg. Ich treffe den Brandenburger Polizeikommissar an einem der letzten sonnigen Tage im September. Zwischen der Arbeit und einer Ausstellungseröffnung im Schwulen Museum hat er sich Zeit für meine Fragen genommen.

Von Julia Lehmann

 

Herr Klingberg, wie kam es eigentlich zu der Vereinsgründung?

Der Verband ist mittlerweile 20 Jahre alt. Das erste bundesweite Treffen von lesbischen und schwulen Polizeibediensteten fand 1994 im Waldschlösschen in Göttingen statt. Der Initiator des Treffens war Jens Dobler, ein Historiker und Mitarbeiter beim Schwulen Museum in Berlin. Er hat sich damals mit der Frage beschäftigt, wie in der Weimarer Republik das Verhältnis zwischen Polizei und der homosexuellen Community war. Und da er sich auch mit der Jetztzeit auseinandersetzen wollte, hat er bundesweit nach schwulen und lesbischen Polizeibediensteten gesucht.

Aus dem ersten Treffen in Göttingen sind dann nach und nach die ersten Landesverbände entstanden. Den Anfang haben 1994 Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und ein Jahr später Berlin-Brandenburg gemacht. So ging das dann stetig weiter. Mittlerweile ist der Bundesverband 20 Jahre alt. Unser 20-jähriges Bestehen haben wir in diesem Jahr mit einer großen europäischen Tagung in Berlin gefeiert. An dieser Konferenz nahmen über 200 Kollegen und Kolleginnen aus 13 europäischen Ländern und Israel teil. Die Konferenz stand unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Höhepunkt war die Teilnahme an der Parade zum Christopher Street Day.

Wie hat Herr Dobler die schwulen und lesbischen Polizeibediensteten damals ausfindig machen können?

Er hat bundesweit eine Anzeige in schwulen und lesbischen Medien gestartet. Daraufhin haben sich einige bei ihm gemeldet und er hat dann das Treffen in Göttingen organisiert. Unter den Polizeibediensteten waren damals auch viele, die sich noch nicht geoutet hatten. Einige Kollegen, die mit dem Auto gekommen sind, haben den Wagen teilweise kilometerweit weg abgestellt und sind mit dem Taxi oder dem Bus weiter gefahren, weil sie Angst hatten, jemand auf Ihrer Dienststelle könnte davon erfahren und sie würden dadurch zwangsgeoutet werden.

Ältere Kollegen, die damals dabei waren, haben mir auch berichtet, dass alle am Anfang noch sehr aufgeregt waren. Jeder von ihnen hat dann berichtet, welche Diskriminierung sie oder er schon erlebt hatten. Ja, und so ist dann die Idee vom Verein entstanden. Seit 2002 haben wir uns offiziell zum Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter e.V. (VelsPol Deutschland) zusammengeschlossen, in dem die einzelnen Landesverbände integriert sind. Mittlerweile haben wir neun Landesverbände.

Wer kann sich bei Ihnen im Verein engagieren?

Jedes Bundesland kann einen eigenen Landesverband gründen und bei uns eintreten. Im Augenblick sind nur Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland noch nicht vertreten. Kollegen vor Ort könnten sich also dort zusammenschließen und einen eigenen Landesverband beziehungsweise Verein gründen und dem Bundesverband beitreten.

Darüber hinaus kann sich jeder Polizist in unserem Verein engagieren. Dabei ist es nicht zwingend notwendig, dass man schwul, lesbisch, bisexuell oder trans* ist. Auch als Fördermitglied kann man mit uns zusammenarbeiten und so unsere Arbeit unterstützen. Fördermitglieder sind zwar nicht stimmberechtigt, können sich aber mit eigenen Vorschläge und Anregungen einbringen.

Im Landesverband Berlin-Brandenburg ist es seit dem letzten Jahr auch möglich, dass sich Angehörige aus dem Bereich der Justiz aktiv beteiligen können. Wir haben Mitglieder aus dem Bereich des Strafvollzuges und der Staatsanwaltschaft. Diese haben sich zu einer eigenen Fachgruppe zusammengetan, um so in ihrem Bereich aktiv mitarbeiten können.

Kann ich den einzelnen Vereinen vor Ort auch inoffiziell beitreten, wenn ich noch nicht geoutet bin?

Die Maxime unseres Verbandes ist, dass wir keinen outen. Wenn also ein Kollege oder eine Kollegin bei uns eintritt, aber nicht geoutet werden möchte, achten wir auf jeden Fall darauf, dass so etwas auch nicht passiert. Meistens ist es aber so, dass diejenigen, die sich aktiv bei uns engagieren, schon geoutet und im Klaren darüber sind, dass ein aktives Engagement auch mit einer Sichtbarkeit, zum Beispiel in den Medien, einhergeht. Es können aber wie gesagt auch Kollegen eintreten, die noch nicht geoutet sind und das beachten wir dann auch.

Wie sieht es eigentlich mit der Anzahl an lesbischen Kolleginnen in Ihrem Verein aus?

Am Anfang war auch eine große Vielzahl an lesbischen Kolleginnen aktiv, die sich aber im Laufe der Zeit aus verschiedenen Gründen etwas aus der Vereinsarbeit zurückgezogen haben. Ich bin seit drei Jahren als Landesvorsitzender aktiv und versuche sie seitdem auch aktiv wieder einzubinden. Einige unserer Kolleginnen engagieren sich seitdem auch wieder intensiver, was mich sehr freut. Ein Großteil unserer aktiven Mitglieder sind aber in der Tat schwule Kollegen.

Gibt es unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen, die schwule und lesbische KollegInnen typischerweise sammeln?

Der Polizeidienst spiegelt da die Realität in der Gesellschaft wieder. Dort werden lesbische Frauen auch eher akzeptiert als homosexuelle Männer. So kurios das auch sein mag. Gegenüber schwulen Männern gibt es auch durchaus das Vorurteil, sie könnten keine typischen Männerberufe ausüben, wie beispielsweise Handwerksberufe. Auch was den Profi-Fußball angeht, hat man ja bis vor kurzem noch geglaubt, dass es dort keine schwulen Männer geben könne. Als schwule Polizisten waren wir anfangs ähnlichen Vorurteilen ausgesetzt. Wir konnten aber beweisen, dass wir genauso erfolgreich arbeiten und auch genauso hart anpacken können wie andere Polizisten auch.

Gibt es unter den Diskriminierungserfahrungen, die an Sie herangetragen wurden, Beispiele, die besonders häufig vorkommen und die sie als typisch bezeichnen würden?

Dazu gehören zum Beispiel Schwulenwitze oder dass sich Kollegen weigern, mit einem zu arbeiten. Auch dass alles, was man tut, plötzlich angeblich falsch sei, kann Teil der Diskriminierung sein. Im Extremfall kann es auch zu Handgreiflichkeiten kommen. Das passiert aber zum Glück nicht mehr so häufig wie früher.

Heutzutage passiert Diskriminierung eher auf subtile Art und Weise. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Schwulenfeindlichkeit nicht mehr so akzeptiert ist wie früher und auch gesetzlich geahndet werden kann. Da äußert man abfällige Bemerkungen oder Ablehnung nicht mehr so direkt. Diskriminierung erkennt man dann zum Beispiel daran, dass homosexuelle Kollegen teilweise länger auf ihre Beförderung warten müssen als andere. Manchmal liegt das aber auch einfach nur an fehlenden Karriereambitionen der einzelnen Kollegen – besonders wenn es um Führungspositionen geht. Die indirekte Art der Diskriminierung hat deren Nachweis leider auch schwieriger gemacht.

Gibt es Bundesländer, die in ihrer lesbisch- und schwulenfreundliche Politik weiter sind als andere?

Das kann man so nicht sagen, aber generell gesprochen sind Menschen in Großstädten und allen voran in Berlin eher positiv gegenüber Homosexuellen eingestellt als in ländlichen Gebieten. Das könnte aber auch damit zusammenhängen, dass man Schwulenfeindlichkeit hier nicht so offen äußert, weil es nicht mehr „en vogue“ ist. In den meisten Bundesländern gibt es innerhalb der Polizei mittlerweile Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, an die man sich wenden kann, wenn man von Diskriminierung betroffen ist.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft? Gibt es mittel- oder langfristige Ziele, die Sie mit Ihrem Verein gerne erreichen möchten?

Unser größtes Ziel ist es, dass so etwas wie unserer Verein einfach nicht mehr gebraucht wird. Bis es soweit ist, wollen wir weiter gegen Diskriminierung angehen. Also uns gegen Ausgrenzung, Diskriminierung, Homophobie und Transphobie einsetzen. Wir beraten auch Opfer von Straftaten und vermitteln diese an die Polizei weiter. Wenn nötig, können wir auch erklären wie die Erstattung einer Anzeige und das Strafverfahren laufen. Wenn die Opfer, beispielsweise bei Körperverletzungsdelikten, auch psychologische Betreuung benötigen, können wir an Opferberatungsstellen vor Ort weitervermitteln.

Neben der Beratung arbeiten wir daran, dass die Gleichstellung von in Lebenspartnerschaften lebenden homosexuellen Paaren im Beamtenrecht vollständig umgesetzt wird. Leider hat hier das Land Berlin eine vollständige Rückwirkung bis 2001, dem Jahr der Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes, noch nicht vorgesehen.

Wenn Sie nach außen, wie beispielsweise in der Beratung, tätig werden, handeln Sie dann als Privatperson oder als Polizist?

Die Opferberatung machen wir über den Verein. Da wir aber auch Polizisten sind, sind wir gesetzlich verpflichtet, alle Straftaten, die uns gemeldet werden, zur Anzeige zu bringen. Das tun wir dann auch dementsprechend. Wenn sich jetzt jemand im Namen eines Freundes bei uns meldet, vermitteln wir ihn direkt an die Opferberatung. Wir raten aber auch in diesem Fall immer zur Anzeige. Denn sonst kann die Polizei den Straftaten nicht nachgehen.

Die Dunkelziffer bei Gewaltdelikten gegen Schwule und Lesben lieg bei circa 90 Prozent. Das sind noch viel zu viele. Die Gründe, warum viele vor einer Anzeige zurückschrecken sind vielfältig. Häufig werden die Delikte bagatellisiert beziegungsweise man glaubt nicht, dass sich durch eine Anzeige etwas ändert. Das ist zum Beispiel bei Beleidigungen häufig der Fall. Ein Grund kann auch sein, dass man befürchtet durch die Anzeige zwangsgeoutet zu werden oder dass die Beamten nicht genug Verständnis für die eigene Situation haben könnten. Für viele ältere Homosexuelle ist die Polizei auch immer noch das Verfolgungsorgan und das Vertrauen ihr gegenüber dementsprechend gering.

Können Sie die Betroffenen während des Verfahrens weiter betreuen?

Nein, dafür fehlen uns einfach die Kapazitäten. Wir sind ja alle ehrenamtlich im Verein aktiv und arbeiten nebenher noch. Da schaffen wir das einfach nicht. Wir nutzen aber unsere Verbindung zu anderen Vereinen und Verbänden, die das dann leisten können.

Gibt es etwas, dass sich in den letzten 20 Jahren, in denen Sie als Verband aktiv sind, markant verändert hat?

In den 20 Jahren hat sich auf jeden Fall verändert, dass Lesben, Schwule und Transsexuelle mittlerweile in der Polizei akzeptiert sind und die Polizeiführung mit uns zusammenarbeitet, was in den Anfangsjahren noch nicht so war.

Der Höhepunkt in diesem Jahr war der Christopher Street Day, bei dem zum ersten Mal deutsche Kollegen auch in Uniform mitgelaufen sind. Damit waren aber nicht alle Bundesländer einverstanden. In Brandenburg zum Beispiel hat der Polizeipräsident zwar seine Zustimmung gegeben, aber nicht das Innenministerium. Als Grund gaben sie an, dass für Außenstehende so der Eindruck entstehen könne, es handele sich um eine Phantasieuniform und dies das Ansehen der Brandenburger Polizei schädigen könne. Wir empfanden das als Diskriminierung und haben dementsprechend Beschwerde eingelegt. Das Ministerium ist aber bei seiner Meinung geblieben. Ich habe dann für mich entschieden als Brandenburger Polizist trotzdem in Uniform beim Christopher Street Day mitzulaufen. Daraus sind mir aber keine rechtlichen Konsequenzen entstanden. Das war ein kleiner Erfolg.

Gab es eine besonders gute oder eine besonders schlechte Erfahrung, die sie in Ihrer Vereinsarbeit gesammelt haben?

Ich selber habe da eher gute Erfahrung gesammelt. Ich kenne aber den Fall einer lesbischen Kollegin, die in ihrer Dienstgruppe aufgrund ihrer sexuellen Orientierung massiv diskriminiert wurde. Das ging bis zur sexuellen Belästigung. Eines Tages hat ihr auch ein Kollege gedroht, er würde sie sofort abstechen, wenn sie sich neben ihn setzen würde. Normalerweise ist es so, dass derjenige, der mobbt, die Dienststelle wechseln muss. Da aber in diesem Fall die ganze Dienstgruppe beim Mobbing beteiligt war, konnte die Kollegin selbst wechseln und hat jetzt glücklicherweise auch keine Probleme mehr.

Die Gründe, sich zu outen, bzw. nicht zu outen, können vielfältig sein. Was würden Sie den Menschen raten, die noch zweifeln?

Ob, wann und wie sich jemand outet, muss jeder selbst für sich entscheiden. Wir können nur von unseren eigenen Erfahrungen erzählen und wie wir unser Outing angegangen sind. Wenn jemand in einem Umfeld lebt, das sehr negativ gegenüber Homosexuellen eingestellt ist, würde ich in jedem Fall dazu raten, sich vorab Gedanken über mögliche Konsequenzen zu machen.

 

Foto: Julia Lehmann

September 2014

 

Verwandte Themen im Magazin

Audio „Zu Besuch bei einer Probe der Rosa Falten“

Die Geschichte der Rosa Falten

Audio „Männer als Paten“