„Die Gesellschaft ist eben nicht homogen“

Seit drei Jahren gibt es das Ehrenamtsbüro Tempelhof-Schöneberg. Der bewusste Umgang mit Vielfalt war von Anfang an Teil des Konzepts. Ein Gespräch mit Christine Fidancan und Enno Skowronnek über die Vielfalt im Bezirk und wie sie sich in ihrer alltäglichen Arbeit spiegelt.

Von Elisabeth Gregull

Ehrenamtsbüro Tempelhof-SchönebergDas Ehrenamtsbüro Tempelhof-Schöneberg ist direkt bei der Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler angesiedelt. Dadurch gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der Integrationsbeauftragten, der Frauenbeauftragten und der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen. So entstehen gemeinsame Handlungsstrategien, um Vielfalt im Ehrenamt zu managen: in der Beratung von Trägern, bei der Öffentlichkeitsarbeit und im Fortbildungsprogramm für Ehrenamtliche.

 

 

Foto: Jo Rodejohann

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Textfassung des Audiobeitrags

„Die Gesellschaft ist eben nicht homogen“

Seit drei Jahren gibt es das Ehrenamtsbüro Tempelhof-Schöneberg. Der bewusste Umgang mit Vielfalt war von Anfang an Teil des Konzepts. Ein Gespräch mit Christine Fidancan und Enno Skowronnek über die Vielfalt im Bezirk und wie sie sich in ihrer alltäglichen Arbeit spiegelt.

Von Elisabeth Gregull

Das Rathaus Schöneberg ist ein bekanntes Berliner Wahrzeichen. Vor 50 Jahren hielt John F. Kennedy hier seine berühmte Rede. Doch der Alltag sieht wie in vielen anderen Rathäusern auch aus: Büros, lange Flure und Menschen auf der Suche nach dem richtigen Raum. Aus dem Standesamt kommt gerade eine kleine Hochzeitsgesellschaft, zwei Männer haben sich ihr Ja-Wort gegeben.

Währenddessen sitzen Christine Fidancan und Enno Skowronnek im Ehrenamtsbüro, im Erdgeschoss des Rathauses. Auf dem Tisch liegt eine Auswahl an Werbe- und Infomaterial. Bunte Farben dominieren bei den Flyern und Broschüren. Für das Team ist das nicht nur eine Frage der Farbwahl – seit das Büro 2010 eingerichtet wurde, ist der bewusste Umgang mit Vielfalt Teil des Konzepts.

„Das gehört zum Bild des Ehrenamtes dazu, dass man Vielfalt anspricht und lebt und das, was eben im Bezirk Tempelhof-Schöneberg vorhanden ist. Und wir sind eben ein bunter, vielfältiger Bezirk.“

In das Ehrenamtsbüro können alle kommen, die sich freiwillig engagieren möchten – hier bekommen sie Informationen und Beratung zu Einsatzmöglichkeiten im Bezirk. Das Ehrenamtsbüro kooperiert mit 90 Vereinen und Organisationen, die Freiwillige suchen. Und das Team macht Öffentlichkeitsarbeit, indem es eine Ehrenamtsbörse organisiert und auf öffentlichen Veranstaltungen präsent ist. Enno Skowronnek erklärt, dass sie dabei bewusst unterschiedliche Gruppen ansprechen:

„Aus dem Grund sind wir auch auf dem lesbisch-schwulen Stadtfest mit einem Infostand vertreten. Und machen Werbung für diesen Personenkreis. Weil wir eben die Erfahrung gemacht haben, dass sich auch Menschen aus der Szene engagieren wollen. Und deswegen wollen wir dort auch Flagge zeigen.“

Das Ehrenamtsbüro Tempelhof-Schöneberg ist direkt bei der Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler angesiedelt. Jeden Montag gibt es eine Dienstbesprechung, an der auch die Integrationsbeauftragte, die Frauenbeauftragte und die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen teilnehmen. Neben dem regelmäßigen Informationsaustausch entstehen dabei Ideen für gemeinsame Handlungsstrategien. So hat Franziska Schneider, die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen, das Team vom Ehrenamtsbüro mit zu einem Informationsabend der Fürst-Donnersmarck-Stiftung genommen. Thema war das Freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen. Und so, berichtet Enno Skowronnek, entstand ein Infoblatt und die Idee,

„das noch mal publik zu machen, dass wir Menschen mit Behinderungen gern ins Ehrenamt vermitteln wollen. Wir haben das dann auf unserem Arbeitskreis besprochen, mit den Trägern, mit denen wir hier im Bezirk zusammenarbeiten. Frau Schneider war dann eben auch mit dabei und hat sich selber und ihr Aufgabenfeld vorgestellt und auch unsere Idee mit erläutert und beworben.“

Barrieren können in Gebäuden liegen – etwa wenn jemand mit Rollstuhl eine Lesepatenschaft übernehmen will, es aber bereits daran scheitert, dass die Schule nicht barrierefrei gebaut ist. Dann mangelt es schon an den Grundvoraussetzungen. Doch, so meint Enno Skowronnek, es gibt auch Bilder und Vorannahmen in den Köpfen, die ein Engagement verhindern:

„Die Träger kennen eben häufig Menschen mit Behinderungen nur als Empfänger von Leistungen und von ehrenamtlichen Zuwendungen. Das war schon ein bisschen überraschend zu sehen, wie es förmlich „Klick“ gemacht hat im Kopf, wenn man dann eben sagt: Die Menschen wollen auch was zurückgeben, von dem was sie empfangen haben. Sie haben eben selber Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt im Laufe ihres Lebens, an denen sie andere teilhaben lassen möchten.“

Einige Organisationen haben den Impuls aufgegriffen und erklärt, sie wollten noch mal in sich gehen und hart daran arbeiten, freiwilliges Engagement von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, erzählt Enno Skowronnek. Franziska Schneider, die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen, unterstützt bei der Suche nach Finanzmitteln für nötige Umbauarbeiten. Für das Ehrenamtsbüro geht es aber um mehr als nur um bauliche Aspekte, die in die Beratung von Trägern einfließen:

„Selbstverständlich geht es nicht nur um Raumanpassung, sondern um Sensibilisierung der Kollegen, wenn jemand kommt, der eine Behinderung hat, egal, ob es körperlich oder seelisch ist, dass man eben weiß, es ist eben ein intensiverer Austausch am Anfang unbedingt notwendig.“

Wenn es um das Thema Vielfalt und Inklusion geht, dann hat das Ehrenamtsbüro auch eine Vorbildfunktion, meint Christine Fidancan:

„Inklusion ist ja sowieso ein Thema, was vielfach diskutiert wird. Und wir würden eben gern zeigen mit der tagtäglichen Arbeit, dass es eben nicht nur ein Schlagwort ist, sondern dass man es in die Arbeit einfließen lassen kann. Dass man es eben immer beachtet, dass es eben nicht im Hintergrund steht, sondern eben allgemein zu den Standards gehört, wie man Ehrenamt managt und wie man dann auch die Träger darauf vorbereitet, das ist ganz wichtig dabei.“

Letztes Jahr hat das Ehrenamtsbüro gemeinsam mit der Volkshochschule Tempelhof-Schöneberg eine Fortbildungsreihe für Ehrenamtliche ins Leben gerufen. Auf dem Programm steht auch „Interkulturelle Kompetenz“. Enno Skoworonnek erklärt, warum dieses Thema aus seiner Sicht wichtig ist:

„Aus mehreren Gesichtspunkten. Zum einen hält sich ja die These, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Ehrenamt unterrepräsentiert sind. Die Gegenbehauptung sagt immer, das ist gar nicht richtig erforscht oder erfragt beim letzten Freiwilligensurvey. Dann waren wir beide auch noch mal auf einer Fortbildung, wo uns auch noch mal deutlich wurde, dass eben bestimmte Hemmnisse und Regularien innerhalb der einzelnen Vereine sind.“

Zu sensibilisieren und den Blick auf die eigenen Strukturen zu richten, ist ein Ansatz, den das Ehrenamtsbüro kontinuierlich verfolgt – in der Beratung und im Seminarprogramm.

„Da muss sich eben ein Verein auch überlegen, wie stelle ich mich dar, wie kann ich mich öffnen, wie können wir unser Procedere, unser Handling intern eben verändern. Und dazu wollen wir eben mit unserer Fortbildungsveranstaltung Anregungen geben.“

Christine Fidancan spricht selbst Türkisch und war vor kurzem zu einem mehrwöchigen Verwaltungspraktikum in der Türkei. Sie findet es für den interkulturellen Austausch im Ehrenamt im Bezirk wichtig, sich gegenseitig zu Festen einzuladen und zu Feiertagen zu gratulieren. Dazu gehöre auch, sich Kenntnisse über kulturelle und religiöse Besonderheiten anzueignen.

„Ich muss eben wissen, dass das höchste Fest im Islam Şeker Bayram, das Zuckerfest ist, ich muss wissen, wenn jemand kommt und ehrenamtlich arbeiten möchte, aber es ist Ramadan, dass ich dem also nicht ständig Essen aufdränge.“

Wie es dazu kam, dass das Thema Vielfalt von Anfang an auf der Tagesordnung stand, erklärt Christine Fidancan mit der Bezirkspolitik. Bevor sie ihm Ehrenamtsbüro anfing, war sie schon fünfzehn Jahre in der Seniorenarbeit als Ehrenamtskoordinatorin und in der interkulturellen Seniorenarbeit tätig:

„Das ist einfach im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, nicht nur im Seniorenbereich, eine Querschnittsaufgabe. Ganz viele Mitarbeiter der Verwaltung haben Fortbildungen besucht zu diesem Thema. Und da ist es eben ganz selbstverständlich – jetzt kommen wir wieder zu diesem bunten, vielfältigen Bezirk -, dass es sich nur auf Menschen mit Behinderung und ohne bezieht, sondern auch auf die Nationalität, auf die Herkunft, auf die geschlechtliche Identifizierung. Das ist ja so vielschichtig im Thema, die Gesellschaft ist eben nicht homogen.“

Das Ehrenamtsbüro ist mit seinen drei Jahren noch recht jung. Wenn Enno Skowronnek über die Perspektiven für die eigene Arbeit und das Thema „Vielfalt im Ehrenamt“ nachdenkt, dann kommt er zu folgendem Schluss:

„Ich würde mir wünschen, dass die Vielfalt zum Normalprogramm wird. Dass sich das mehr in den Köpfen festsetzt oder verstetigt, oder dass man nicht ständig daran erinnern muss oder beachten muss – da nehme ich uns jetzt selber auch nicht aus davon. Sondern dass das von selbst läuft und selbst Beachtung findet. Das wäre für mich ein großes Ziel.“

 

September 2013