„Dazu gehört auch die Bereitschaft der Menschen, einfach mal umzudenken“

Karola Weber hat in der Wirtschaft gearbeitet. Als sie in Rente geht, beginnt sie als Ehrenamtliche in der Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf. Und entdeckt eine neue Welt: das soziale Berlin.

Von Elisabeth Gregull

Karola WeberSeit einem Jahr arbeitet Karola Weber ehrenamtlich in der Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf. Sie berät Menschen, die auf der Suche nach einer freiwiligen Tätigkeit in die Agentur kommen. Im Portrait spricht sie über ihre Motivation, über Lernen im Ehrenamt und warum sie das Thema „Vielfalt in der Arbeit mit Freiwilligen“ interessiert.

 

 

 

 

Foto: privat

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Textfassung des Audiobeitrags

„Dazu gehört auch die Bereitschaft der Menschen, einfach mal umzudenken“

Karola Weber hat in der Wirtschaft gearbeitet. Als sie in Rente geht, beginnt sie als Ehrenamtliche in der Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf. Und entdeckt eine neue Welt: das soziale Berlin.

Von Eisabeth Gregull

„ … als ich noch berufstätig war – ich arbeitete, ganz grob gesprochen, in der Wirtschaft, in der Verwaltung – war ich Lesepatin beim VBKI und fand das einfach sehr bereichernd zu sehen, wie es die Schüler freut, dass es Erwachsene gibt, die 20-30-Minuten ihrer Zeit nur für diese Schüler da sind. Und als ich dann selber mehr Zeit hatte, dachte ich: also ein bisschen was will ich gerne zurückgeben an die Gesellschaft.“

Karola Weber sitzt am Beratungstisch in der Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf. Ein Berufsleben in der Wirtschaft liegt hinter ihr. Auch ihre Lesepatenschaft lief über den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller VBKI. Vor einem Jahr kam sie dann eigentlich in die Agentur, um sich zu Einsatzmöglichkeiten als Freiwillige im Bezirk beraten zu lassen. Prompt bekam sie das Angebot, doch einfach direkt in der Agentur mitzuarbeiten. Seitdem hat sie für sich eine neue Welt entdeckt:

„Ich habe also mit großem Erstaunen und mit Bewunderung auch festgestellt, wie viele Menschen sich für was in dieser Stadt engagieren. Und vor allem wie viele Möglichkeiten es gibt, sich zu engagieren.“

Das soziale Leben der Stadt war ihr, so ergänzt sie, bis dahin fremd. Die Arbeit in der Freiwilligenagentur liegt ihr: Menschen beraten, die nach einem Ehrenamt suchen, organisieren und soziale Einrichtungen kennenlernen. Wenn sie allerdings in ihrem Umfeld von der Freiwilligenagentur erzählt, gibt es häufig Erklärungsbedarf:

„Ich muss dann sehr weit ausholen und sehr viel erklären. Weil die Menschen, mit denen ich zu tun habe, auch nicht auf dem Gebiet tätig sind. Und ‚Freiwilligenagentur’ ist nicht bekannt. Zumindest nicht in meinem Umfeld. Man muss schon drei Mal erklären, was eigentlich damit gemeint ist.“

Die Freiwilligenagentur Steglitz-Zehlendorf gibt es seit zwölf Jahren. Träger sind das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, der Mittelhof e.V., die DRK Berlin Südwest Behindertenhilfe und das Diakonische Werk Steglitz. Die Freiwilligenagentur berät kostenlos Menschen, die auf der Suche nach ehrenamtlichen Tätigkeiten sind, und arbeitet mit rund 90 Organisationen und Einrichtungen zusammen, die Freiwillige suchen. In der Datenbank gibt es derzeit etwa 150 Einsatzmöglichkeiten für Interessierte. Karola Webers Erfahrung ist, dass es für die Menschen wichtig ist, mit jemandem reden zu können. Informationen finde man ja in Hülle und Fülle im Internet – aber für sich zu klären, was man will und was zu einem passt, sei in einem Beratungsgespräch für manche leichter:

„Manche kommen und sagen: Ach wissen Sie – alles, nur nicht die Alten. Alt bin ich selber. Oder andere sagen dann: Kinder? Nee, ich habe so viele Kinder und meine Enkel auch, das will ich jetzt nicht. Ich möchte dann lieber doch mit älteren Menschen. Manchmal stellt sich im Lauf des Gespräches heraus, dass die Eingangsaussage dann gar nicht das ist, was am Ende gewollt ist.“

Viele der Menschen, die in die Beratung kommen, stehen ähnlich wie Karola Weber, nicht mehr im Berufsleben.

„Also ohne die Statistik jetzt zu kennen, würde ich sagen, dass es schon überwiegend, vielleicht zur Hälfte Menschen sind, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, aber auch eben andere, die Zeit übrig haben, während ihrer Arbeitszeit. Oder die vielleicht gerade nicht arbeiten.“

Ein Großteil seien Frauen, aber auch viele Männer kämen in die Agentur und Studierende. Karola Weber erlebt in der Beratung immer wieder eine erstaunliche Engagementbereitschaft:

„Ich hatte zum Beispiel gerade vorhin eine ältere Dame, sie sagte: Wissen Sie, ich mache jetzt zwei Ehrenämter. Da bin ich zwei Mal in der Woche einen halben Tag beschäftigt. Das ist mir zu wenig. Ich möchte jetzt einfach noch ein bisschen mehr machen. Haben Sie nicht noch was anderes im Programm? Ja, so was passiert einem eben häufiger.“

Karola Weber hat zu Beginn ihrer Tätigkeit in der Agentur Unterstützung von erfahrenen Team-Mitgliedern bekommen. Inzwischen berät sie auch alleine. Sie bildet sich fort zu Themen wie Datenbanken oder Umgang mit schwierigen Beratungssituationen. Sie möchte sich Wissen aneignen, austauschen und sich persönlich weiterentwickeln – nicht zuletzt, um auch gut beraten zu können:

„Nicht nur Aneignen von Wissen, sondern eben der Kontakt mit anderen Menschen, die in ähnlichen Situationen ehrenamtlich tätig sind. Und das Lernen für die eigene Persönlichkeit: Kann ich mich ändern? Bin ich da flexibel genug? Bin ich da schon zu alt dafür? Ich bin ja nicht mehr die jüngste, wenn ich schon in Rente bin. Ist das nicht eine Herausforderung, der ich nicht mehr gerecht werden kann, nicht mehr gewachsen bin? Habe ich Zugang zu den jungen Menschen überhaupt? Also diese Dinge fand ich spannend und habe einiges gelernt. Und auch einige Grenzen kennengelernt, was auch wieder sehr interessant war. Aber mehr hat es mich bereichert, kann ich schon sagen.“

Auf ihrem Seminarplan stand auch das Thema „Diversity in der Arbeit mit Freiwilligen“. Karola Weber findet, dass eigentlich alle aufgefordert sind, ein bisschen das Blickfeld zu erweitern. Sie kennt auch das Gefühl am Rand zu stehen und wie unangenehm das sein kann. Mit Blick auf ihre berufliche Vergangenheit meint sie, dass Diversity auch in der Wirtschaft wichtig ist:

„Was ich erlebt habe, ist dass Firmen sich schon sehr kümmern um das Thema. Wie es dann tatsächlich von der Arbeitnehmerschaft gelebt wird, und wie man dann Initiativen umsetzen kann, das ist ja auch ein langer Prozess. Der ja auch eine Veränderung in den Köpfen will. Und das zu bewerkstelligen, dazu gehören Initiativen, dazu gehört auch die Bereitschaft der Menschen, einfach mal umzudenken. Und eben der Kontakt mit Menschen, die anders sind. Die einem dann andere Impulse geben können. Die eben dann das Umdenken im Kopf so ein bisschen mit sich bringen.“

Karola Weber fände es schön, wenn sich die Vielfalt der Menschen auch in der Freiwilligenagentur noch mehr widerspiegeln würde. Zum Beispiel sind die Beratungsräume der Agentur mit dem Rollstuhl zugänglich – aber Karola Weber hat noch niemanden beraten, der oder die einen Rollstuhl benutzt. Sie ergänzt:

„Und es gibt eben auch niemanden aus dem Beraterteam, der eben im Rollstuhl säße. Was ich ja auch gut fände. Wenn jemand mal auf der anderen Seite sitzt. Und als Beraterin dann halt im Rollstuhl sitzt und jemand kommt und denkt: Hm? Ach, ist ja merkwürdig. Normalerweise wäre doch ich diejenige, die den Rollstuhl schiebt?’ Das ist vielleicht schon mal so ein bisschen einen Schalter im Kopf bewegen.“

Umdenken, neue Wege einschlagen lernen – diese Dinge sind Karola Weber wichtig. Mit ihrem Ehrenamt in der Freiwilligenagentur ist sie nach einem Berufsleben in der Wirtschaft im sozialen Berlin angekommen. Sie fühlt sich wohl, sagt sie, und will auch weiter mitarbeiten. Und im Zweifelsfall springt sie auch mal außerhalb der Reihe ein:

„Es gibt zwei Beratungstermine in der Woche, mittwochs und donnerstags. Ich selber gucke, dass ich so zwei Beratungen im Monat mache. Wenn es denn hart auf hart kommt, dann auch gerne mehr.“

 

Juni 2014