„Das zieht sich wie eine Schnur durch mein ganzes Leben“

Gabriele Gün Tank ist Integrationsbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg. Sie hat sich vielfältig ehrenamtlich engagiert und ein Thema hat sie dabei immer begleitet: Antirassismus.

Von Elisabeth Gregull

Gabriele Gün Tank, Integrationsbeauftragte von Tempelhof-SchönebergFrau Tank, Sie sind seit 2007 Integrationsbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg. Bevor wir auf das bürgerschaftliche Engagement im Bezirk schauen, möchte ich Ihnen noch ein paar Fragen zu Ihrem eigenen Engagement stellen – denn Sie haben einiges gemacht und bewirkt. Unter anderem haben Sie die Band „Die bösen Mädchen“ gegründet. Wann war das und wie kam es dazu?

„Die bösen Mädchen“ sind eigentlich nicht nur eine Band, sondern auch ein Verein. Wir haben ihn in den 90er Jahren gegründet, aus einem Mädchenladen in Charlottenburg-Wilmersdorf heraus. Am Anfang haben wir einfach nur mit den Mädchen einen Song erarbeitet … wir haben nicht geplant, irgendwann einen Verein, geschweige denn eine Band zu gründen und dann jahrelang ehrenamtlich tätig zu sein.

Die Mädchen hatten Poster von den ganzen Boy-Groups, die hingen auch an den Wänden des Mädchenladens. Und über die Boy-Groups sind wir auf die Frage gekommen: besteht denn die Möglichkeit, dass WIR Musik machen? Und was für Musik, wo wollen wir hin? Wir haben mit ein-zwei Liedern angefangen und dann hat sich herausgestellt, dass das den Mädchen sehr viel Spaß macht.

Und über Workshops kam dann heraus, dass es einfach Themen gibt, mit denen sich die Kids beschäftigen wollen und dass man über Musik mit ihnen dazu ins Gespräch kommen kann. Das waren Themen wie Rassismus und Diskriminierung. Das war dann eine ganz eigene Dynamik, es ist so viel daraus entstanden – es ist ein riesiger Blumenstrauß geworden. Der Verein hat als ein kleines Musikprojekt angefangen und hatte dann auch Bildungsangebote entwickelt.

Was ist denn jenseits der Musik noch entstanden?

Zuerst haben sich die Aktivitäten an junge Mädchen gerichtet. Dann kamen aber auch Erwachsene mit Lernschwierigkeiten zum Verein dazu, als die „Handicaps“. Die haben eigenständig gearbeitet. Als Einzelpersonen hatten sie die Mädchen unterstützt bei den CDs oder Auftritten, sie haben uns ehrenamtlich unterstützt. Irgendwann haben sie dann gesagt: Das, was die Mädels machen, können wir vielleicht auch.

Wir hatten dann auch ziemlich schnell Kontakt zu anderen Partnern, zum Beispiel zur Alice-Salomon-Fachhochschule und zur IG Metall. Und wir haben gemeinsam etwas entwickelt, was sich „Soziotainment“ nannte. Das war ein ESF-gefördertes Projekt, das sich an Pädagog_innen und Unternehmen richtete, um in den Betrieben eine „Kultur der Vielfalt“ zu schaffen. Und das mit unterschiedlichen kulturellen Projekten und Stimmen.

Ist Ihnen aus der Zeit mit den „Bösen Mädchen“ etwas besonders in Erinnerung geblieben?

Ich kann mich ganz gut an einen Workshop erinnern, den wir gemacht haben, mit Teilnehmenden der Handicaps und von unseren jungen damals pubertierenden Frauen. Zum gleichen Zeitpunkt gab es in dieser Bildungsstätte ein Seminar für Pädagog_innen. Es gab einen kleinen Konflikt zwischen unseren Teilnehmenden, also Diskussionsbedarf, wie es eben ist in Workshops.

Ich weiß noch, wie dann einige der Pädagog_innen zu mir gekommen sind und gesagt haben: Sie können doch diese beiden Gruppen nicht zusammenbringen! Das eine sind Erwachsene und die haben eine Behinderung und das andere sind pubertierende junge Mädchen, die können Sie doch nicht in einem Workshop arbeiten lassen. Das kann doch nicht gutgehen! Da muss es doch Konflikte geben! Und dann habe ich nur gesagt, ich bin ganz glücklich, dass wir Konflikte haben – weil ich finde, zu jedem guten Workshop gehören auch Konflikte.

Klar: junge Mädchen haben in dem Alter auch noch andere Interessen als sich mit Erwachsenen rumzuschlagen. Aber ich fand es sehr schön zu erleben, dass es doch einen Austausch gab von Stärken. Es war bei Präsentationen so oder wenn Texte gelesen wurden. Das Seminar ging um Teilhabe, auch Teilhabe im Betrieb, in der Gesellschaft.

Einigen Teilnehmenden, die nicht lesen konnten, haben die Mädchen vorgelesen. Und dann wurde gemeinsam darüber diskutiert, so sind Erfahrungen der Erwachsenen zu den Jugendlichen gekommen und umgekehrt. Es hat eine Sensibilisierung stattgefunden auf beiden Seiten. Die Aussagen der Pädagog_innen haben mich sehr irritiert. Von vornherein zu sagen diese und jenes geht nicht, ohne zu wissen, in welcher Verbindung die beiden Gruppen stehen. Das waren ja auch Gruppen, die schon im Vorfeld miteinander gearbeitet haben.

Die Handicaps gibt es noch, die Band „Die bösen Mädchen“ nicht mehr. Da hat die demographische Entwicklung zugeschlagen! (lacht)

Sie haben Journalismus in der Türkei studiert. Die Uni-Zeit ist oft auch eine Zeit, in der sich politisch denkende Menschen engagieren. Wie war das bei Ihnen?

Ich war in den Semesterferien oft hier und das Engagement bei den „Bösen Mädchen“ lief weiter. Zum Beispiel habe ich an einem großen Projektantrag mitgeschrieben und das Projekt mit der Alice-Salomon-Fachhochschule und der IG Metall mitentwickelt.

In der Türkei war ich sehr aktiv in meinem Studiengang, ich war als Journalistin tätig, habe für türkische Zeitungen und Zeitschriften geschrieben.

Und als es 1999 das Erdbeben gab, sind wir sind ins Erdbebengebiet gefahren und haben dort praktisch geholfen. Es kam Hilfe aus Deutschland und ich war begleitend mit in dem Gebiet, habe Übersetzungen für ausländische Hilfsorganisationen gemacht. Ein ganz anderer Bereich an „Ehrenamt“ als das, was ich hier in Berlin gemacht habe. Es war eine tolle Zeit und ich würde sagen, das Studium in der Türkei hat mich sehr beeinflusst in meinem weiteren Werdegang, aber auch in meinem Sozial-Gefühl.

Nach dem Studium haben Sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag gearbeitet. Und seit 2007 sind Sie Integrationsbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg. Wie ist Ihr Blick auf das Engagement von People of Colour, Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Bezirk?

Wir haben das Glück, dass wir in Tempelhof-Schöneberg ein gutes Netzwerk haben sowohl von Migrantenvereinen als auch von Vereinen, die mit Migrant_innen oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte arbeiten. Wir haben nicht so viele wie in Kreuzberg oder Neukölln, aber wir haben ein Netzwerk, das sich seit über 18 Jahren regelmäßig trifft: die Tempelhof-Schöneberger Arbeitsgemeinschaft der Immigranten- und Flüchtlingsprojekte.

Den Migrantenorganisationen geht es wie vielen Migrantenorganisationen in Deutschland auch, viele arbeiten ehrenamtlich. Oder von Projekt zu Projekt, was zumindest für eine bestimmte Zeit auch ehrenamtliche Arbeit bedeutet. Die Migrantenselbstorganisationen, die wir hier haben, sind sehr aktiv, manche halten sich seit zehn oder zwanzig Jahren über Wasser. Strukturell hangeln sie sich von Projekt zu Projekt, das ist ein Problem.

Wenn man sich das historisch anschaut, die Vereine sind eben in einer Zeit entstanden, wo in der Bundesrepublik finanziell nicht mehr so aus dem Vollem geschöpft wurde. Sie haben die Grundstruktur von der Pieke auf mit Nichts oder Wenig aufgebaut. Das macht die Sache natürlich auch nicht einfach, wenn es um Themen geht, wo sich diese Vereine auch einbringen sollen … überspitzt formuliert: am besten die Interkulturelle Öffnung alleine zu lösen. Es sind Ressourcen nicht gerecht verteilt.

Viele der Vereine wirken ja auch bei Ihrer jährlichen Veranstaltungsreihe CrossKultur mit.

CrossKultur ist eine Veranstaltungsreihe die ich zusammen mit der Leiterin des Fachbereichs Kunst, Kultur und Museen Tempelhof-Schöneberg vor sechs Jahren ins Leben gerufen habe. Mit CrossKultur wollen wir drei Aspekte im Bezirk erfüllen: Das eine ist die Interkulturelle Öffnung der Verwaltung, sie bietet auch Veranstaltungen an. Dann geht es um die Stärkung der Migrantenvereine, auch die Sichtbarmachung ihrer Arbeit. Und um eine Vernetzung von Partner_innen, die sonst vielleicht nicht zusammenarbeiten, aber in diesem Rahmen etwas entwickeln können. So sind auch spezielle Projekte entstanden. Der Fokus ist Antidiskriminierung, Antirassismus, Kultur und Bildung.

Last but not least geht es geht darum Raum zu schaffen für Kultur und Bildung, auch für People of Color, die Kultur- und Bildungsakteure sind, aber vielleicht nicht unbedingt in der gesamten Gesellschaft wahrgenommen werden. Wir machen auch Bildungsangebote für bestimmte Zielgruppen. Wir haben zum Beispiel das Network-Inclusion-Leadership-Seminar angeboten, gemeinsam mit „Each One Teach One“. Wo junge People of Color, die unsere zukünftigen Leader sein können, die Möglichkeit haben sich zu vernetzen, Empowerment stattfindet, aber auch Kompetenzen vermittelt werden zu Präsentation, Kommunikation, Umgang mit bestimmten Erfahrungen.

Ein anderes Seminar war mit Jugendlichen aus unseren Partnerstädten, aus Mersin in der Türkei, aus Nahariya in Israel und aus dem Bezirk hier. Wir hatten uns im Sommer in der Türkei getroffen zu einem Seminar „Wie stelle ich mir die Demokratie in einer vielfältigen Gesellschaft vor?“ Gemeinsam haben die Jugendlichen einen Song auf Kurdisch, Türkisch, Hebräisch und Deutsch in einem Tonstudio aufgenommen und als Friedensbotschaft in ihre Welten getragen. Und in Berlin waren die Jugendlichen dann beim Auftakt zu CrossKultur. Sie sind sehr gut angekommen. Außerdem haben sie mit Projekten aus dem Antidiskriminierungsbereich gesprochen.

Sie haben mal in einem Interview gesagt: „Ich hatte nie das Gefühl zwischen zwei Stühlen zu sitzen, sondern immer auf einem großen Sofa.“ Wie hat diese Erfahrung vielleicht auch Ihr berufliches Handeln geprägt?

Ich hatte ja nie vor, Integrationsbeauftragte zu werden. Aber ich war schon immer ein ziemlich politischer Mensch und das Thema Antirassismus hat aus politischen, aber auch persönlichen Gründen immer eine Rolle gespielt. Das zieht sich wie eine Schnur durch mein ganzes Leben. Das sieht man auch an den Projekten, die ich ehrenamtlich gemacht habe.

Ich habe mich, zumindest den Erzählungen nach, zum ersten Mal damit auseinandergesetzt mit fünf-sechs Jahren. Und zwar bin ich da zu meiner Mutter hin und habe sie gefragt – weil sie kommt aus der Türkei und mein Vater ist Deutscher -, was ich denn sei? Irgendwie ist von außen etwas an mich herangetragen worden, wo ich mich dann mit meiner eigenen Identität beschäftigen musste. Und sie hatte mir damals geantwortet: „Wenn Du Schokoladen-Eis isst, welchen Geschmack hast Du auf der Zunge?“ „Schokolade.“ „Und bei Vanille?“ „Vanille.“ Und dann war mir klar, dass ich „das gemischte Eis“ bin. „Das gemischte Eis“ habe ich dann auch in die „Bösen Mädchen“ hineingetragen, daraus ist ein Lied geworden. Es ist immer ein Teil meines Lebens gewesen.

Wobei ich sagen muss, meine fachlichen und auch praktischen Erkenntnisse, bevor ich Integrationsbeauftragte geworden bin, habe ich auch durch mein Ehrenamt erlangt. Durch Ausprobieren, Learning by Doing, zu der Zeit sind auch viele Netzwerke entstanden. Und ich konnte daraus unheimlich Gewinn ziehen, für mich als Person.

Und jetzt als Integrationsbeauftragte?

Es ist schön, die Ergebnisse zu sehen, das motiviert einen dann auch immer wieder Projekte zu gestalten oder neue Ideen zu entwickeln.

Was mich schon beschäftigt, persönlich, aber auch politisch, ist – „das gemischte Eis“ oder die Diskussion um „das große Sofa“, findet heute noch genauso statt wie damals. Teilweise noch in verschobeneren Formen, teilweise noch aggressiver. Oder aggressiver ist vielleicht der falsche Begriff – akzeptierter. Es gab bestimmte Sachen, die man früher nicht so unbedingt sagen durfte – heute schon. Mit Thilo Sarrazin und der ganzen Debatte hat sich eine Kommunikation entwickelt, die das alles ein bisschen mehr durchlässt. So nach dem Motto „Wir können aber doch mal sagen, dass …“.

Parallel dazu wird aber auch mehr und mehr darüber gesprochen, dass es Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft gibt. Was wir ja auch schon immer hatten, was aber in der Form nicht kommuniziert worden ist, sondern was oft nur auf den Rechtsextremismus bezogen wurde.

Es bewegt sich aber auch viel über ethnische Grenzen hinweg. Interessensgruppen, Schwarze Deutsche und People of Color werden lauter. Ich finde es spannend, was daraus wird. Wie gehen wir mit all dem um? Nur eins: mein Sofa lass ich mir nicht klauen! (lacht)

Foto: privat

 

März 2015

 

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